erschienen in Kommunikaze 21, Oktober/November 2006
Erstwohnsitz Panama
Telefonieren war gestern! Heute müssen Mobiltelefone ganz andere Tricks draufhaben: im Internet surfen, Musik hören, den Flugverkehr über Paderborn-Lippstadt regeln oder wahrscheinlich sogar auf eigene Faust in achtzig Tagen die Welt im Heißluftballon umrunden.
Das muss auch Kommunikaze-Feuilleton-Chefredakteur Darren Grundorf feststellen, dessen Telefon (kann telefonieren und SMS verschicken) in der schönen neuen Welt schlicht nicht mehr mithalten kann. Der Erwerb eines neuen Handys allerdings kommt Dantes Abstieg zu den neun Kreisen der Hölle gleich, wie Grundorf am eigenen Leib erfahren soll. Hier ist sein Bericht:
Der Fortschritt macht vor nichts und niemandem halt. Also hinein in den Service Point eines großen Mobilfunkanbieters und brav mein Sprüchlein aufgesagt. Ginge es dabei nach mir, dann sähe das Verkaufsgespräch so aus:
„Guten Tag.“
„Guten Tag“
„Ich brauche ein neues Handtelefon“
„Hier habe ich eines. Es ist sehr gut. 50 Euro.“
„Ah, ja. Hier das Geld. Vielen Dank. Wiedersehen.“
„Auf Wiedersehen.“
Aber nach mir geht es natürlich nicht. Also sieht das Verkaufsgespräch so aus:
ich: Guten Tag.
Verkäufer: Guten Tag.
ich: Ich brauche ein neues…
Verkäufer:…ahhhh ja: Natürlich. Lassen Sie mich raten: Sie möchten einen Mobilfunkvertrag abschließen. Da kann ich Ihnen über die volle Vertragslaufzeit von 24 Monaten ein super Angebot machen, sofern Sie Ihre alte Rufnummer behalten wollen.
ich:…ein neues Handtelefon. Bitte?
Verkäufer: Sie sind bereits Kunde bei uns?
ich: Ein Telefon hätte ich gerne.
Verkäufer: Ja natürlich. Gerne. An welches Modell hatten Sie denn da gedacht?
ich: Also ich habe ja seit zwei Jahren einen Mobilfunkvertrag bei Ihnen…
Verkäufer: …um welchen Tarif geht es denn? Minutes and more, Service plus, More and plus, Service plus more minutes, Fifty for you, Call and phone, Service plus call, Phone minus minutes,…
ich: Nee, war jetzt nicht dabei.
Verkäufer: (überlegt, dann widerwillig) Naja, da bliebe dann ja höchstens noch easy and more…
ich: Ja! Genau, das ist er!
Verkäufer: Tja. Nun. Den bieten wir ja schon seit fast zwei Jahren nicht mehr an. Da sind sie bestimmt in den Freecall plus Tarif gerutscht.
ich: Vielleicht…
Verkäufer: Da müssten Sie auch eine Email von uns bekommen haben…mit einer neuen PUK.
ich: Mit einer neuen WAS?
Verkäufer: Einer neuen PUK. Das ist Ihre persönliche Kennziffer, mit der Sie im Bonuspaket Service plus Extraminuten sammeln können.
ich: Und wenn ich keine PUK habe?
Verkäufer: (Pause). Dann fülle ich schon mal einen neuen Vertrag aus.
beginnt auf der Tastatur zu tippen
Haben Sie denn schon einmal in unserem Katalog gestöbert?
ich: (ertappt) Wieso?
Verkäufer: (ungläubig) Naja, Sie werden sich doch schon ein neues Handy ausgesucht haben.
ich: Ähh, also ich hatte mich ja tendenziell für das Modell K 300i entschieden.
Verkäufer: Das haben wir nicht mehr im Programm
ich: Ach so.
Verkäufer: In welchem Katalog haben Sie denn geschaut?
ich: Hmmm, da war vorne so ein schwarzes Telefon drauf…
Verkäufer: Ah ja. Hmmm. Ja, also: Schwarze Telefone führen wir ja grundsätzlich nicht mehr. Ich könnte Ihnen aber das Modell T 720 anbieten, komplett mit Bluetooth, UMTS und 512 MB.
ich: 112 MB? Ist das viel?
Verkäufer: 512 MB. Bei Bedarf auf 1 GB erweiterbar.
ich: 1 GB?
Verkäufer: Und natürlich WAP 3-fähig, außerdem Flash und polyphone Klingeltöne, wahlweise auch GPRS und GSM oder nur GSM. Und raten Sie mal, welches Speichermedium für die MP3-Fähigkeit genutzt wird?
ich: Das weiß ich nicht.
Verkäufer: (ermunternd) Na dann raten sie doch mal!
ich: (unsicher) Mit DVD?
Verkäufer: Wie meinen?
ich: (noch unsicherer) Mit DVD?
Verkäufer: Nein. (zunächst irritiert, dann zusammenhanglos) Das T 720 ist natürlich auch vipesky-fähig. Sie können damit elektronische Steuerungsmodule in ihrem Haussystem problemlos von ihrem Handy aus bedienen. Den entsprechenden Decoder gibt es gegen eine einmalige Zahlung von nur 199 Euro im Freecall plus-Paket dazu. Über welche Steuerungsmodule verfügen sie?
ich: Äh, meine Eltern haben ein elektrisches Garagentor.
Verkäufer: Prima! Einfach den Decoder unter das Garagendach, über die Programmsteuerung ihr Handy anwählen, und schon geht’s los. Und das Tollste kommt noch: Für nur 15 Euro mehr im Monat können Sie sämtliche elektrischen Garagentore in ihrer Homezone steuern. Natürlich ganz bequem von zuhause aus.
ich: Ach was.
Verkäufer: Wie viel telefonieren Sie denn so im Monat?
ich: Unter der Woche eher wenig, dafür am Wochenende etwas mehr. Also insgesamt so mittel. Reichen da 112 MB?
Verkäufer: (unbeirrt) 512. Aber sicher. Ich könnte Ihnen da das Easy Credit Paket anbieten.
ich: Aha. Und was kann das?
Verkäufer: (auftrumpfend) Damit könnten Sie für nur 10 Euro mehr im Monat für 5 Euro weniger ins Festnetz telefonieren.
ich: (zögerlich) Aber da zahle ich ja fünf Euro drauf.
Verkäufer: Das ist nicht ganz richtig, denn dafür können Sie ja jeden Sonntag ganztägig über Konferenzschaltung mit bis zu drei Freunden gleichzeitig telefonieren.
ich: Jeden Sonntag? Da müsste ich aber erst mal fragen, ob die da Zeit haben.
Verkäufer: Dann ist das vielleicht doch nicht der richtige Tarif für Sie…wie oft telefonieren Sie den beispielsweise am Wochenende nach Kalkutta?
ich: Gar nicht.
Verkäufer: (triumphierend) Aha! Und kennen Sie vielleicht jemanden in Bombay?
ich: Hmmm.(aufgeregt) Meine Schwester hat mal aus Bangkok eine Schildkröte mitgebracht!.
Verkäufer: Na sehen Sie, dann läuft es wohl für Sie auf den Asia Plus-Tarif hinaus.
ich: Asia plus? Kann ich denn dann noch meine Tante in Karlsruhe anrufen?
Verkäufer: gegen Zuzahlung. (tippt ein) Also, Asia Plus mit Easy Credit. Und dazu das T 720 mit 1GB. Dann noch den vipesky-Decoder fürs Garagentor. (rechnet zusammen) Das macht dann 329 Euro monatlich.
ich: Ach so. Können wir da preislich nicht noch was machen?
Verkäufer: (tippt immer noch auf der Tastatur, hält dann aber kurz inne)
Schön, dass Sie diese Frage stellen.Da habe ich genau das Richtige für Sie! Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, ihren Erstwohnsitz nach Panama zu verlegen?
ich: Panama? Na, Ich weiß nicht so recht, ob sich das für mich lohnt…
Verkäufer: (misstrauisch) Haben Sie das denn schon einmal durchgerechnet?
ich: Das nicht, aber…
Verkäufer: (jovial) Ich kann das ja mal für Sie ausrechnen. Wo in Panama möchten sie denn wohnen?
ich: Was? Ich…keine Ahnung…ich…
Verkäufer: (ungeduldig) Wie ist denn Ihr Geburtsdatum?
ich: (verdattert) 10.05.1981
Verkäufer: Sehr gut. Und was machen Ihre Eltern beruflich?
ich: Wozu müssen Sie das denn wissen?
Verkäufer: Das müssen wir alles bei der Anmeldung in Panama mit angeben.
So, dann hätten wir soweit alles. Sie müssen dann nur noch mit Ihrem Handy beim Einwohnermeldeamt Panama anrufen, dort ihre PUK angeben, und schon beginnt die neue Vertragslaufzeit…
ich: Aber ich…
Verkäufer: (überprüft Bildschirm) Aha, ein vier-Personen-Appartment, 10 qm, Badezimmer und Küche auf der Etage. Keine Haustiere.
ich: Und eine Garage?
Verkäufer: Vielleicht in der Nachbarschaft…
ich: Und das neue Telefon?
Verkäufer: Ist schon auf dem Weg nach Panama. Sie sollten dann vielleicht jetzt auch schon mal zum Flughafen…
ich: Aha. Ja, dann will ich mal. Muss ich noch irgendwo unterschreiben?
Verkäufer: Nein. Das wird alles abgebucht.
Will altes Handy einpacken
Verkäufer: (scharf) Das brauchen Sie nicht mehr.
ich: Wie bitte?
Verkäufer: Das ist alles schon abgeschaltet.
ich: (resigniert) Ach so, na dann danke. Und schönen Tag noch.
Verkäufer: Ihnen auch.
Grundorf ab
Verkäufer: Muss ja keiner wissen, dass der Tarif mit Erstwohnsitz in Papua-Neuguinea noch zehn Euro billiger gekommen wäre…
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