erschienen in Kommunikaze 18, April/Mai 2006
Bang, bang rock’n’roll: Musikredakteur Olker Maria Varnke und Lifestylekolumnist Stefan Berendes folgen der Einladung zum Eins Live Königstreffen. Kein Unding für die weltgewandten Kommunikaze-Autoren, die von nun an für den Rest des Tages mit einem angeleckten englischen Akzent sprechen und sich als Ausnahmeinterpreten Franz und Ferdinand ausgeben werden. Nur zum Teil mit Erfolg, aber lest selbst:
von Olker Maria Varnke und Stefan Berendes
Nachdem wir den Helikopter-Landeplatz verlassen haben, machen wir uns - flankiert von zwei Meter hohen, anderthalb Meter breiten und ebenso dunkelhäutigen wie kahlköpfigen Sicherheitskräften auf den Weg ins Rock ‘n’ Roll- Vergnügen. Auch wenn der VIP-Eingang des Festivalgeländes schmaler ausfällt als der für das gemeine Volk, nutzen wir ihn heute gern, ist er doch wesentlich volkfreier als der vor wartender Plebs nur so strotzende Normaleinlass. Als für uns überraschend erweisen sich die unfreundlichen, ja geradezu diabolischen Blicke vieler Mädchen aus der ersten Reihe, als wir den Bühnengraben in Richtung Production Office durchschreiten. Wissen sie etwa nicht, dass sie die Crème de la Crème der deutschen Musikjournaille vor sich haben? Ungeachtet dieses respektlosen Verhaltens werfen wir zunächst einmal einen Blick auf die running order: Als nächstes ist Max Herre an der Reihe. „Hmm...“ kommentiere ich, „Da hätten wir ja doch noch bei McDrive zwischenlanden können.
Recht hat Varnke: Der Interpret erscheint mit großem Ensemble und ganz viel Brimborium
– allemal zuviel für unseren Geschmack. Also ab zum Gastrobereich hinter die Bühne und weg mit dem ersten Frischgezapften des Tages. Während Herre auf der Bühne ganz schrecklichen Unsinn zusammenorgelt, bleiben wir also lieber auf der Wiese sitzen und trinken kaltes Bier. Dann überstürzen sich die Ereignisse: Am Nebentisch sitzen Bloc Party und futtern Hackbällchen Arrabiata. Ich halte Maulaffen feil, Varnke hingegen verliert keine Zeit, entwindet einem Roadie die Gitarre des Mando Diao-Frontmannes und posiert für die Nachwelt. Sobald das Instrument dann wieder an seinem Platz ist, können die schwedischen Teufelskerle endlich loslegen. Sie verlieren auch keine Zeit und rocken das Auditorium recht artig: Im überwiegend weiblichen (und überdies sehr textsicheren) Publikum direkt vor der Bühne lodert kräftig die Fetenhölle. „Ich kann keinen einzigen Text von denen“, brülle ich Varnke zu, „was soll ich denn jetzt machen?“. „Zuhören!“, zischt mir eine weibliche Stimme von hinten eisig in den Gehörgang, und so halte ich denn für das restliche Set der Band schön den Mund, um nicht hinterrücks mit einem Haargummi garottiert zu werden…
– allemal zuviel für unseren Geschmack. Also ab zum Gastrobereich hinter die Bühne und weg mit dem ersten Frischgezapften des Tages. Während Herre auf der Bühne ganz schrecklichen Unsinn zusammenorgelt, bleiben wir also lieber auf der Wiese sitzen und trinken kaltes Bier. Dann überstürzen sich die Ereignisse: Am Nebentisch sitzen Bloc Party und futtern Hackbällchen Arrabiata. Ich halte Maulaffen feil, Varnke hingegen verliert keine Zeit, entwindet einem Roadie die Gitarre des Mando Diao-Frontmannes und posiert für die Nachwelt. Sobald das Instrument dann wieder an seinem Platz ist, können die schwedischen Teufelskerle endlich loslegen. Sie verlieren auch keine Zeit und rocken das Auditorium recht artig: Im überwiegend weiblichen (und überdies sehr textsicheren) Publikum direkt vor der Bühne lodert kräftig die Fetenhölle. „Ich kann keinen einzigen Text von denen“, brülle ich Varnke zu, „was soll ich denn jetzt machen?“. „Zuhören!“, zischt mir eine weibliche Stimme von hinten eisig in den Gehörgang, und so halte ich denn für das restliche Set der Band schön den Mund, um nicht hinterrücks mit einem Haargummi garottiert zu werden…
„Oh meine Gute, Franz, das war eine hervorragende Auffuhrung, war es nikt?“, raune ich Berendes nach dem Schwedengig in bestmöglichem Glasgow-Deutsch zu. „Aber naturlik, Ferdinand, ik freue mik ßo ßehr!“ erwidert der Kommunikaze-Zeitgeistredakteur, nachdem er die zehnte Karaffe kühlen Gerstennektars heruntergespült hat. Doch viel Zeit bleibt uns eifrigen Musikjournalisten für eine angemessene Reflexion des soeben Gesehenen nicht, stehen doch als nächstes die Fetten Brote auf der Showbühne. Schnell noch ohne störende Konversation die Kaltgetränke Nummer elf und zwölf vertilgt, Max Herre einen mitleidigen Gruß hinübergeworfen, und schon stürzen wir uns erneut im Auftrag der Pressefreiheit ins Fangetümmel vor der Bühne. Die Darbietung gefällt, und wir entschließen uns, die drei Hamburger Granden zu interviewen. Souverän fangen wir die Künstler backstage ab. Gerade will ich Björn Beton auf seine prima Haarfrisur hinweisen und so gekonnt ein locker-professionelles Gespräch einleiten, als Berendes sich plötzlich selbst vergisst und mir - ein gelbes Schweißhandtuch zückend - ins Wort fällt: „Oh Dr. Renz, du bist das Idol meiner Jugend! Schon als Schülerzeitungsredakteur habe ich von einem Interview mit dir geträumt. Bitte! Ein Autogramm!“ Genauso regungs- wie sprachlos starre ich auf die Szenerie und lasse die Hanseaten gewähren, als sie mir - die Situation offensichtlich missverstehend - gönnerhaft meinen Notizblock signieren.
War ja klar, dass meine Fanboytricks beim Möchtegern-Musikintellektuellen Varnke auf wenig Gegenliebe stoßen würden. „Sowas würde ich mir nie leisten!“, scheint sein zu gleichen Teilen mitleidiger und angeekelter Blick zu sagen. Noch kann er nicht ahnen, wie tief auch er schon bald sinken wird… Einstweilen flanieren wir allerdings noch durch den Bakstagebereich und finden alles gut. Plötzlich hektische Betriebsamkeit hinter der Bühne (und spürbare Nervosität bei den Die-Hard-Fans davor): „Meine Gute! Ick glaube, gleick beginnt unsere Auftritt, Franz!“, blödelt Freund Varnke von der Seite. Klarer Fall, er hat den Ernst der Lage noch nicht erkannt: In wenigen Minuten betritt der Headliner die Bühne, und wir sind noch nicht im Kostüm! In Rekordzeit prügeln wir uns zur T-Shirt-Bude durch, wo uns fast der Schlag trifft: Während wir hinter der Bühne journalistisch seriös Bier getrunken haben, hat der Pöbel vorne alles leergekauft. In meiner Verzweiflung greife ich gar zur Shirtgröße Medium. „Det fällt allet deutlich jrößer aus!“, berlinert der Verkäufer beschwichtigend auf mich ein. Ich glaube die dreiste Lüge und sehe mich alsbald eines Besseren belehrt: Das Leibchen spannt über meinem barocken Leib und verleiht mir die Anmutung einer ostpommerschen Landbrühwurst – die allerdings immerhin mit dem richtigen Bandnamen bedruckt ist. Jetzt aber schnell das gefühlt vierhundertste Bier des Tages eingefahren – das macht auch vergessen, dass Varnke nunmehr alle Sittsamkeit fahren und sich den Bandschriftzug knapp überm Steißbein aufmalen lässt. Ich fühle mich mehr denn je wie vollends unter die Räuber gefallen. Einerlei, denn die Zeit bis zum Auftritt von Franz Ferdinand wird allenfalls noch in Herzschlägen gemessen. Mit aller gebotenen Eile werfen wir uns also wieder ins Getümmel und drängeln uns ganz nach vorne, wo es am lautesten und hässlichsten zu werden verspricht. Keinen Moment zu früh, denn…
…im Backstagebereich hat sich Max Herre nach aufbauenden Worten des Festival-Managing Directors kurzerhand entschlossen, einige Zugaben zu performen. Aber das ist nicht der einzige Grund für unser Drängen an die vorderste Fanfront, denn jetzt, ja jetzt, kommen sie und sie sind schöner, als wir es je erträumt hatten. Mit gehöriger Alkoholunterstützung schwelgen wir im Endorphinrausch und kreischen den auftretenden echten Franzens und Ferdinands wie einst unsere Ahnen den Beatles entgegen. Doch unser Jubel weicht sehr bald einem Moment des stillen, andächtigen Beobachtens, in dem wir die anmutigen Bewegungen der vier Musiker aufnehmen, sehen, wie sie mit ihren Gitarren drei verschiedene Positionen einnehmen, die zusammen mit dem Schlagzeug, hinter dem der vierte Franz oder Ferdinand Platz nimmt, so etwas wie eine Raute formen. „Alles professionell einstudiert und geplant - fantastisch“, denke ich begeistert, als schon der vorderste Barde das Mikrofon ergreift: „Jaqueline was seventeen, working on a desk when Ivor peered above a spectacle, forgot that he had wrecked a girl...“ klingt es wie von Engelszungen zu uns hinüber. Spätestens mit einsetzender Bassgitarre aber gibt es für Berendes und mich kein Halten mehr: Unsere versteinerte Andachtshaltung weicht schlagartig einem undefinierbaren Gezappel, das vielleicht am ehesten den Bewegungen von Zitteraalen ähnelt. Dass sich die Menschen neben uns immer weiter entfernen, stört nicht, finden wir uns doch weiterhin sehr gut, vor allem, weil sich im Laufe des Gigs eine bislang ungeahnte „Textsicherheit“ bei uns herausstellen soll: „find me and follow me, a robbery in a factory, find you and follow me…“ entrinnt es freudig - aber unzutreffend - meiner Kehle.
Enorm abgerockt aber glücklich, die beste Band der Welt live gesehen zu haben, verlassen wir nach dem mutmaßlich letzten Song die vordersten Fanreihen. Doch da…
Enorm abgerockt aber glücklich, die beste Band der Welt live gesehen zu haben, verlassen wir nach dem mutmaßlich letzten Song die vordersten Fanreihen. Doch da…
…haben wir die Rechnung wohl ohne den Wirt gemacht: Gerade als wir dem Hexenkessel vor der Bühne den Rücken gekehrrt haben und - erschöpft aber glücklich - über den Verzehr eines abschließenden Brauerzeugnisses nachdenken, werden auf der Bühne die ersten Takte von „This Fire“ angestimmt. Mist! Zugabe vergessen! Aber es hilft ja nichts, und so legen wir die Ellenbogen an und boxen uns wieder bis zur ersten Reihe durch. Das nach wie vor überwiegend weibliche Publikum hat unserer schieren Masse und unverhohlenen Gewalttätigkeit wenig entgegenzusetzen, und so findet das Spektakel etwa fünf Minuten später sein verdientes Ende...oder auch nicht, denn schließlich gebietet es unser journalistischer Ehrgeiz, die Glasgower Kappelle noch einmal von Nahem unter die Lupe zu nehmen! Also wieder ab hinter die Bühne, wo - Schock schwerenot! - der Tourbus der FranzundFerdinands schon abfahrbereit ist. Nur dadurch, dass Freund Varnke sich vor das gleichsam schon anfahrende Vehikel wirft, erlangen wir eine Chance zum investigativen Interview. Die Band fragt dann auch artig nach, wie uns denn die neuen Songs gefallen haben. Während - der nun wieder merklich um Haltung und Professionalität bemühte - Varnke von seiner Position unter dem vorderen Radkasten aus zu einem länglichen Diskurs über Harmonielehre ansetzen will, flöte ich ein ehrerbietiges „Amazing show, guys!“ ins Wageninnere und werde mit Autogrammen auf meiner mitgebrachten „Darts Of Pleasure“-UK-Importsingle belohnt. Spiel, Satz und Sieg, Ferdinand!
Obwohl mich Kollege Berendes im letzten Augenblick vor dem startenden Tourbulli gerettet hat, bin ich am nächsten Morgen ob seines musikjournalistischen Fehlverhaltens nicht sonderlich gut auf ihn zu sprechen. So entscheide ich, den Kommunikaze- Hubschrauber allein nach Osnabrück zurückzufliegen. Übrigens fand ich Ferdinand schon immer besser als Franz!
In der ersten Klasse des Inter City Express „Uta Ranke-Heinemann“, der mich wieder in die heimische Redaktion bringen soll, ziehen derweil die filzstiftschwarzen Überbleibsel des Fanboydaseins auf meinen Unterarmen kritische Blicke der Mitreisenden auf sich. Doch für solche Kleingeistigkeit habe ich nur Mitleid übrig: They could have it so much better — mit Franz und Ferdinand!