erschienen in Kommunikaze 14, Juli 2005
Alle sagen dauernd etwas. Die Sexualtherapeutin Barbara Keesling sagt: „Kurz vor der Ejakulation müssen sie ihren trainierten PC-Muskel anspannen, die Augen weit öffnen und tief einatmen.“
Auf dem Kinderspielplatz gegenüber sagt ein Zehnjähriger zum Anderen: „Du Arschgefickter.“ Daraufhin entgegnet der Andere: „Du Unterhose mit roten Herzen drauf.“ Junge Nummer Eins muss deshalb fast heulen. Ich könnte jetzt noch eins draufsetzen und zu ihm hinüberschreien: „Du alter Pubcoccygeus-Muskel, würdest du nur nicht dauernd krampfen! Millionen Männer könnten einen Orgasmus haben, ohne zu ejakulieren.“ Aber das wäre unfair, ich bin ja viel älter.
Stattdessen sage ich etwas zu meiner Begleitung: „Das Königreich von OZ hat seinen Namen, laut seines Erfinders L. Frank Baum, von einem Karteikasten mit der Beschriftung `O-Z´.“ „Ach Echt?“, fragt sie. „Ja. Echt,“ antworte ich.
Ich bin in sie verliebt. Sie hat schöne Haare. Sie würde niemals einen Pauschalurlaub buchen. Und wenn doch, dann würde sie an Tag Drei sagen: „Heute leihe ich mir ein Mofa, zünde mir eine Zigarette an und beobachte, wie schnell die wegbrennt bei 60 km/h.“ Jetzt denkt sie nach. „Steht das da drin?“ Sie deutet auf das Heftchen, das ich vorhin im Café mitgenommen habe. „Ja“, antworte ich. „Gleich neben dem Artikel über multiple Orgasmen.“ Ich komme mir vor, wie organisierter Teppichverkauf. Pauschalurlaub eben. Sie heißt Edda.
Vor ein paar Tagen sind wir zusammen die Stufen vor der Uni hinuntergelaufen. Aus einer der steinernen Stufen rankte schon der erste Löwenzahn. Sie sagte nur: „Löwenzahn.“ Da hat es mich weggehauen. Da habe ich mich so in sie verknallt wie noch nie in einen Menschen zuvor. Jetzt sitze ich mit ihr auf einer Parkbank und weiß nicht, was ich sagen soll. Wir schweigen umwogen von Naherholern. Von Außen betrachtet sind wir ein Paar. Drinnen sind wir gemeinsam uneins. Ich frage: „Willst du ein Eis?“ Sie blinzelt und schiebt ihren Mund zusammen. „Mmmjoa.“
Am Kiosk neben dem Teich gab es nur Capri und Nogger. Ich fragte ihn: „Hast du nicht auch mehr Bock auf Waffel?“ Da hat er mich angeschaut, als ob er sich entschuldigen wolle, dass es dort keine gibt. Ich sagte: „Hey, kein Problem, wir können ja auch zu Bertolini. Da kann man draußen sitzen.“ Eigentlich ist er ja ganz süß. Nicht so ein Kerl der gleich Feuer machen und ein Wiege für unser Baby schreinern will. Die Letzten waren alle so. Trotzdem könnte er den Auspuff meines Wagens reparieren, wenn er kaputtginge. Nette Kombination.
Aber soll ich ihm jetzt am Reck vorturnen, dass ich ihn gut finde? Sonst ist er doch auch nicht so schüchtern. Hört man zumindest. Wir schlendern in Richtung Ausgang. Ich spüre, wie es in ihm arbeitet. Wenn er nicht gleich Luft holt, muss er platzen. Ein Familienvater kommt uns mit seiner Tochter auf den Schultern entgegen. Das Mädchen fragt: „Du Papi, spielen wir nochmal Rennpferd?“ Er schiebt die Augen nach oben zu seinem Kind und sagt: „Papa will heute nicht mehr galoppieren. Wir sind sowieso gleich am Spielplatz.“ Ich muss schmunzeln. Irgendwie sind wir hier total fehl am Platz, inmitten all dieser bereits verankerten Existenzen. Ich komme mir vor wie jemand sehr weit Hergekommenes, ein Eskimo etwa, der mit Fischottermütze und Bärenfell auf einmal in der Fußgängerzone am Bratwurststand steht.
Als ich zu ihm hinüberschiele sagt er: „Mann, ich glaube fürs erste Date wären wir besser woanders hingegangen. Auf ein Musikfestival oder so.“ „Musikfestival?“ Er grinst. „Ja klar, lauter Leute in unserem Alter, die zelten, Bier trinken, rumknutschen und dazu ihre Lieblingsbands live hören.“ Ich nehme seinen Arm. „Und keine Ausflügler die Goldfische füttern? Hmm, ich weiss nicht so.“ Er schaut mich betroffen an und ich schaue gespielt ernst zurück. Dann hat er es kapiert und wir lachen beide. Der Bann ist gebrochen.
Ich glaube, das wird ein guter Sommer. Ich glaube, ich nehme bei Bertolini einen Eskimo-Becher.
Er/Sie/Eskimo
von Jan Paulin
