Einmal (im Sommer)

von Ines Bethge

erschienen in Kommunikaze 2, Februar 2003

Das Dunkel der U-Bahn-Schächte, wie es jeden Tag über mich hereinbricht und meinen Atem zerfrisst, ihn aufsaugt in seine stinkenden Winkel, in denen Fliegenleichen schwären. Ein Krüppel streckt mir seine zitternde Hand entgegen. Ich trete meine Gedanken mit Füßen. U-Bahn-Schreien kreischt in mein wackelndes Denken. Reklame springt mich von überallher an, um sich unauslöschlich in mein Gehirn zu graben und dort in irgendwelchen Ecken festzukrallen, und irgendwann, später einmal, vielleicht, wenn deine Freundin gerade mit dir Schluss macht, wird es dir einfallen: Musterhausküchenfachgeschäft, wir richten Küchen mustergültig ein. Schneematsch verflüssigt sich auf den abgetretenen Fliesen zu schleimigem Brei, während schales Licht von den Decken tröpfelt. Ich war weg gewesen.
 
Ich hatte sie gesehen, an dem Tag, als die Sonne schien und die Landschaft streichelte wie einen Liebhaber. Ich hatte sie gesehen, hinter den Büschen, die sich um die Wette wölbten und Blüten in den Himmel warfen. Ihr Rock warf sich um sie während ihres wirbelnden Tanzes, und am Schluss fing die Wiese sie auf. Und der Wind zog an ihren Haaren und zerwühlte sie, als hätte er einen Schatz darin versteckt. Und es schien, als scheine die Sonne nur für sie, als sie ihr T-Shirt auszog und sich sonnte. Alles war Licht. Und meine Phantasie schlug Purzelbäume, und ich wollte ihre Sommersprossen küssen und ihr ewige Liebe schwören, wie sie da lag und sich am Kopf kratzte und mit ihrer Haut die Sonnenstrahlen auffing. Sie hatte mich gesehen, als ich aufstand, um mit ihr zu tanzen, die Dunkelheit mit ihr zusammen hinauszutanzen. Sie war zusammengezuckt, ihr ganzer Körper zuckte, so dass mir ganz wund wurde. Und dann war sie gerannt, und mir liefen Tränen aus der Seele. Sie war gerannt und hatte etwas gerufen: „Verpiss dich, du Spanner!“

Ich trete aus dem Dunkel des Schachts und blicke über die Betonfassaden und sehe die Vögel, die ins Licht fliegen, sie tanzen gegen das Grau, sitzen zusammen auf Telefonmästen und zwitschern ihr Lied der  Welt entgegen. Und alles, was uns hier unten bleibt, ist ihre Scheiße, die weiß die großen Männer der Geschichte krönt.

Ein Auto hält, und ich steige ein, ich weiß nicht warum, ich fahre wohl irgendwohin, ich suche nach dem Mädchen, nach IHR, irgendwo abseits der schwärenden Wunden der Stadt, deren Eiter schwerfällig durch die Gassen rinnt. Ein Kind winkt mir und es lacht. Ich suche nach IHR, nach dem Ort, wo die Sonne die Seele küsst.