Universitätsbibliothek

von Stefan Berendes

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erschienen in Kommunikaze 1, Januar 2003, sowie im Rahmen der Titelrubrik in Kommunikaze 21, Oktober/November 2006

Es ist ganz still hier unten. Das macht das Arbeiten leichter. Alles, was man hört, sind leise Schritte und das sporadische Rascheln von Papier. Aber selbst diese Geräusche werden durch die zahllosen Regalreihen verschluckt, Meter um Meter gesammeltes Wissen. Die Temperatur ist angenehm, ebenso wie das Licht.

Man kann überhaupt sehr gut arbeiten, hier in der Universitätsbibliothek.

Trotzdem kann ich mich heute nur schlecht konzentrieren. Es war ein langer Tag. Ich sitze hier unten im Zeitschriftenarchiv, das Semester wird bald enden. Aber es gibt ja noch Hausarbeiten und Referate. Das Übliche eben.

Ich müsste eigentlich recherchieren, aber das gelingt mir nicht so recht. Immer wenn ich gerade etwas notieren will, mich gerade in mein Material vertiefe, dann höre ich das Geräusch. Es ist nicht laut, eigentlich ist es nur ein leises Kratzen, das da aus dem Betonboden dringt. Ein lästiges Hintergrundgeräusch, das verschwindet, sobald man sich darauf zu konzentrieren versucht. Dabei rhythmisch, auf seltsame Weise rhythmisch. Muss die Heizung sein.

Ich gehe mit meinen Büchern zur Ausleihtheke, lege meinen Ausweis vor. Der Bibliothekar füllt die Verleihkarte aus und schaut mich dann mahnend an: „Aber rechtzeitig zurückbringen!“, grinst er dann. Aber ein ganz seltsames Grinsen ist das, denn es erreicht seine Augen nicht. Eigentlich bleckt er eher die Zähne. „Wer überzieht, kommt in den Keller!“ Er spricht auch die zweite Silbe sehr deutlich aus - Kell-ER.

Ich muß ihn wohl sehr skeptisch ansehen, denn er erklärt: „Alte Bunkeranlage, genau unter der Bibliothek. Sollte mal zugeschüttet werden. Aber es hat dann keiner mehr daran gedacht...“ Verstehen macht sich in mir breit, ich lache ihn an, sage: „Nein nein, ich gebe die Bücher schon rechtzeitig zurück! Um Gottes Willen! Ich will ja nicht in den Keller!“ „Nein!“, lacht er zurück, „Nein, das wollen sie ganz sicher nicht!“ Aber es ist ein ganz komisches Lachen, denn es erreicht seine Augen nicht.

Ein Kommilitone von mir hat das Studium abgebrochen. Einfach so, ohne ein Wort zu sagen. Keiner hätte es gemerkt, aber die Mahnschreiben von der Bibliothek sind ungeöffnet zurückgekommen. Und er war weg, einfach so. Wie die wohl ihre Bücher zurückgekriegt haben? Naja, so was kommt vor.

Ich gebe meine Bücher immer pünktlich zurück, oh ja! Denn ich weiß, was mit Überziehern passiert.

Man kann sie hören, wenn man genau aufpasst. Zwischen dem Umblättern, und wenn man den Stuhl rückt. Dann hört man sie. Ganz leise. Und rhythmisch, seltsam rhythmisch.
Ich leihe überhaupt nur noch selten Bücher aus. Das meiste erledige ich gleich hier, man kann ja fotokopieren.
Das Risiko ist mir zu hoch, ich will nicht dort hinunter. Zu denen.

Und außerdem kann man ja auch sehr gut arbeiten, hier in der Universitätsbibliothek.