erschienen in Kommunikaze 21, Oktober/November 2006
Wer träumte nicht schon einmal davon, in die Weiten der Welt aufzubrechen. Wer wollte nicht schon einmal das Blau des Meeres in der Karibik, das Rot des Sonnenunterganges in Nevada oder das Weißblau der griechischen Inseln sehen? Oder zumindest die kotzegrünen Flecken auf den Wänden der Ballermann-Toiletten in El Arenal? Ich jedenfalls ganz bestimmt nicht, denn ich bin der Malpensant und ich hasse das Leben.
Dennoch muss auch ich den Erfordernissen von Studium und Arbeitsmarkt nachgeben und ein Jahr im Ausland einlegen. Vielleicht ist es gar nicht mal so übel, die stupiden Nasen hier in Osnabrück für eine Zeit hinter sich zu lassen und endlich mal ein paar Menschen mit zumindest zweistelligem IQ kennen zu lernen, so überlege ich. Also, nichts wie rein ins AAA, Formular ausgefüllt und ab in den Flieger und…. Feststellen, dass hier der Wunsch der Vater des Gedankens war. Denn schon im Flur des AAA erwartet mich eine Menschenschlange, die jedem Feinkostgeschäft der DDR zur Ehre gereicht hätte. Und nach kurzweiligem zweistündigem Warten kriege ich einen Papierstapel, den ich erst mal auszufüllen habe, bevor es los geht; Studienart, Wunsch-Uni, Motivation, Forschungsvorhaben im Ausland… Ich wusste bisher nicht einmal, dass ich so was wie ein Forschungsvorhaben überhaupt haben kann! Aber hier hilft kein Jammern. Ich fülle die Drecksseiten aus, hefte ein halbes Dutzend Passfotos auf die verschiedenen Seiten und trage den Antrag auf ein Erasmus-Studium inklusive Stipendium zum AAA zurück. Was nun kommt, ist Warten. Lange. Lange warten. Scheiße lange warten. Bis schließlich der erhoffte Brief ins Haus flattert: „Sie sind angenommen, herzlichen Glückwunsch, kaufen sie sich ein Flugticket, mieten sie sich eine Wohnung im Ausland, organisieren sie ihren Umzug, sie kriegen dazu eine Unterstützung von sensationellen 80 Piepen im Monat.“ Voller Dankbarkeit überweise ich 10 Cent auf das Konto der Universität und schreibe in das Betreffeld: „Zum Bau eines neuen Kongresszentrums. Behalten Sie den Rest“.
Ein paar entwürdigende Nebenjobs als FöTisch-Eisbär für Bodo Geerds und Maik Möller später jedoch habe ich genug Kohlen zusammen und ziehe zum Erasmus-Studium nach Gent in Belgien. Gent ist ungefähr genauso wie Osnabrück, nur mit Geschichte, Kultur, einem Nachtleben, freundlichen Kommilitonen und erträglichen Pommes. Beschissen aus meiner Sicht der Dinge also.
Überhaupt bietet Belgien jede Rechtfertigung für das Manko, in Deutschland weitestgehend unbekannt zu sein. Das Land ist mindestens ebenso verregnet wie das Osnabrücker Land hoch Grevenbroich, der König ist noch mieser als König Alphons der Viertelvorzwölfte von Lummerland, das Bier enthält mehr Chemie als der Pillenschrank von Jan Ulrich, und die Sprache klingt wie eine üble Halsentzündung.
Das Schlimmste aber ist das Erasmus-Leben an sich. Ständig ist man auf Parties mit Leuten, deren Gesprächsthemen sehr begrenzt sind: „Hi, how are you? Where are you from? Are you also on Erasmus? Do you like it doggystyle? Then why not with me?” und so weiter und so weiter. Die ganze Rotte der Erasmuser verhält sich so wie eine Horde Teenager im Hormonkoller im Schullandheim. Wer will noch mal, wer hat noch nicht, jeder kann mal ran. Schließlich ist man in der beruhigenden Sicherheit, keinen seiner peinlichen One-Night-Stands je wiedersehen zu müssen.
Und damit man sich auch während der Studienzeit nicht allzu häufig über den Weg läuft, unternimmt jeder ständig irgendwelche „Studienreisen“ zu den zehn peinlichsten Pauschaltouristenzielen des Landes. Atomium, Brügge, Manneke Pis, Oostende, jupheida! Anschließend trifft man sich mit den anderen Erasmusern und stöhnt darüber, daß das Reiseziel gar nicht so schön und fotogen war wegen all der Touristen, die da rundlaufen. Wenn doch nur jeder so gut integriert wäre wie man selbst!
Mir reicht diese selbstreferenzielle Bande. Ich packe meine Siebensachen und reise zurück nach Deutschland. Wo mich der totale Horror erwartet. Die Knallchargen von der Kommunikaze haben inzwischen die Gruselausgabe ausgerufen, und während jeder vernünftige Autor dieses Irrenkombinats von Geistern, Zombies oder der Deutschen Bundesbahn gequält wird, wartet auf mich der Mega-Horror: Die Fröhlichkeit hat das Land erobert!
An der Spitze einer Volksbewegung zur Verbreitung der hirnlosen Heiterkeit vollbrachte es Jürgen Klinsmann, der sich als Bundestrainer gegen Tobi Nehren und Darren Grundorf durchgesetzt hatte, das ganze Land in einen Schwarz-Rot-Geilen Taumel zu stürzen. Überall stürzen sich lachende Irre mit hässlichen Hüten und Strunzdumm-Podolski-Trikots in die Biergärten, trinken sich die Hucke bei 35°C Sonnenschein pelzig und singen „Schalala-lala-la-la-la“. Von Niveau oder schlechter Laune nirgends eine Spur. Ich drehe mich um. Hinter mir steht Papa Ratzinger. Auch er lacht. Das Land im Wirtschaftsaufschwung. Die Regierung tanzt oppositionslos im Reichstag. Osnabrück kriegt die BuGa. Take That feiert Wiedervereinigung. Und überall lachende Gesichter. Ich fühle mich schrecklich. Die Luft wird mir zu dünn zum Atmen. Dieter Bohlen strahlt. Er hat sich was Hübsches zum Knattern von Mallorca mitgebracht. Ich halte mich taumelnd am Geländer fest. Das Benzin wird billiger! Unter mir die tiefe Grube des Piesberges. Bodo Geerds gewinnt das Nettebad-Wettrutschen! Ich steige mit einem Bein über das Geländer. Das andere folgt. Ich balanciere am Abgrund, spüre die Tiefe. Die intellektuelle Riesenmeldung des Sommers: Pluto kein Planet mehr! Ich springe. Der Wind rauscht mir in den Ohren…..
Oben am Rand der Piesberger Kiesgrube, die 2015 die Bundesgartenschau Osnabrück beheimaten soll (oder vielleicht auch nicht...), dreht sich Eric Idle von Monty Python langsam vom Geländer ab und beginnt, zur Stadt hinunterzuspazieren. Es ist ein schöner Tag. Keine Wolke trübt den Himmel. Eine Schwalbe fliegt vorbei. Da kommt ihm ein Lied in den Kopf. Mehr zu sich selbst als zum Malpensant, den er eben in die Grube hat springen sehen, summt er: „Ooolways look on the bright side of life!“
- Startseite
- Wir & Ihr
- Printmagazin
- Onlinemagazin
- Kommunikaze live
- Onlineshop
- Reklame
- Gäste
- Links
- Kontakt/Impressum