erschienen in Kommunikaze 5, Juni 2003
Heißa! Freunde, es ist wunderbar! Endlich normale Leute! Endlich ein Klima, in dem es sich leben lässt! Freunde, ich bin angekommen in der Welt der Universität, habe einen Ort gefunden, wo ich ganz ich selbst sein kann und Gleichgesinnte treffe. Oh nein, keine Selbsthilfegruppe, keine Party, keine Hochschulinitiative. Auch kein Café, kein Schwimmbad, kein Park. Da schätzt Ihr mich falsch ein. Denn ich bin der Malpensant, und ich hasse das Leben.
Vielleicht sollte ich euch noch einen kleinen Tipp geben, welches mein Elysium ist. Das häufigste Geräusch dort ist „Pssssssssssssst!“ oder „das weiß ich auch nicht“. Ja, die guten, alten Unibibliotheken. Herrlich! Ein Ort um schlechte Laune abzulassen! Ich betrete also die Kathedrale des Wissens an der alten Münze, deponiere meine Sachen in der Garderobe, freue mich, dass wieder einmal fluchend ein Dutzend Studenten kein 2 Euro-Stück findet und begebe mich ins Heiligtum. An der Ausleihe höre ich einen verzweifelten Nervenarsch die magischen Worte sagen: „Bitte, drücken sie doch einmal ein Auge zu. Ich brauche das 2 Euro-Stück!“ „Tut mir leid, kann ich ihnen nicht geben.“, antwortet die Thekenkraft resolut. „Und woher soll ich denn eins bekommen?“ „Weiß ich auch nicht.“
Bingo! Das erste Mal. Ich müsste echt mal einen Bingozettel mitnehmen und folgende Ereignisse eintragen: „Weiß ich auch nicht“ „Pssst“ „Ruhe“ „Wo ist denn Regal XPZT23“ „Schauen sie doch mal im OPAC nach“ „hast Du mal 20 Cent für den Kopierer“ „Raus, raus! (Im Kellerfreihandmagazin)“ „Kann ich mal hier Flyer auslegen?“ „Taschen und Mäntel bitte an der Garderobe abgeben“ Bücher verstecken, Bücher wiederfinden (Uiiiii), Mahnungen bezahlen, rausgerissene Seiten entdecken, defekte Kopierer auffinden und feststellen, daß ausgerechnet der Band 12 aus einer 56-bändigen Reihe, den man unbedingt für das Referat braucht, entliehen ist.
Zurück zum Nervenarsch. Ich beschließe, sein Leid zu vergrößern und frage ihn, ob er ein 2 Euro-Stück braucht. Er juchzt auf „JAA!“ („Psssst!“ von der Thekenkraft, Bingo). Ich fahre über meine Hosentaschen, gucke gekünstelt mitleidig und sage: „Tja, ich habe noch eins im Portemonnaie, und das ist in der Garderobe. Sorry!“ Ich freue mich, dass er noch heulend 5 Minuten lang versucht, mich zur Rückkehr zur selbigen zu bewegen, aber ich entschuldige mich mit wichtigen Recherchen. So. Dessen Tag hätte ich also auch versaut.
Alsdann setze ich mich an einen x-beliebigen Tisch, hole mir ein Buch und tue so, als läse ich. Sobald jemand in meiner Nähe jemanden begrüßt, darf ich „psssst“ sagen und ihn böse anblicken. Dafür kriege ich dann einen Punkt. Zwei Punkte kriege ich, wenn ich danach noch „also, hier wollen einige arbeiten, ja?“ sage und vier Punkte für den Extremsatz „also geht doch zum Reden bitte ins Parlatorium!“ (Achtung, nur in der HTW-Bibliothek möglich) Nachdem ich in nur 20 Minuten bereits 50 Punkte habe, beschließe ich eine Luftveränderung. Ich nehme mir also ein paar Bücher aus den Semesterapparaten und gehe daran, ihnen eine artgerechte Unterbringung zu ermöglichen. Eines kommt in die Theologie, eines als Tischstütze in den Lesegarten, eines zu den Lesetischen, zwei finden Platz im DinA3-Fach des Kopierers (der sofort kaputt geht) und der Rest kommt in die Zeitschriftenklappe des Magazins „Histörie, das dänische Magazin zur Geschichte“, auf der sich bereits eine erhabene Staubschicht angesammelt hat. Meine Stimmung wird immer besser. Ich besuche also die SoWi-Bibliothek, die so schön verwinkelt ist, dass man hier sogar Gesocks trifft, das bereits seit mehr als zwei Monaten den Ausgang sucht. Kollegial schicke ich es in die falsche Richtung, singe im Zeitschriftenraum „Im on a highwaaaay to hell“ (pssssssssssssssssssssssst!“) und beschließe beglückt, nunmehr die HTW-Bibliothek zu besuchen.
Mein Favorit. Nirgends sonst ist es so schön verwinkelt, nirgends sonst hat man eine solche verwirrende Regalaufstellung (es gibt an der Theke sogar eine Karte der UB) und nirgends trifft man solche fertigen Gestalten. Mein persönliches Highlight ist hierbei der Durchgang zum Europarechtsinstitut, wo sich „Lerncontainer“ befinden, in die sich die Studenten („Studierende“, protestiert eine hässliche Emanze, was mit „psssst“ kommentiert wird) zum Lesen zurückziehen können. Ich renne also durch die Container und klopfe an jede Tür und verstecke mich, sobald sie geöffnet wird. Die verärgerten Gesichter der so Gestörten bieten viel Spaß für wenig Geld. Herrlich! Schon wieder einem Dutzend Studenten den Tag versaut!
Abschließend schreibe ich noch eine Mail an Endemol, dass ich einen prima Platz für ein neues Big Brother-Experiment gefunden hätte und habe so gute Laune, dass ich im Übermut beschließe, Shoppen zu gehen.
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