Le Malpensant geht Geburtstag feiern

von Sven Kosack

erschienen in Kommunikaze 9, Februar 2004

Okay, einige von Euch wollten hier meine top secret schwarze Liste sehen, aber Ihr glaubt doch nicht echt, dass ich Euch die hier zeige? Nee nee, so nett bin ich nicht. Im Gegenteil, ich streite alles ab.

Jeder, der behauptet, ich hätte eine schwarze Liste, kommt auf meine schwarze Li… er… Naja, jedenfalls gehe ich heute zu einer Geburtstagsparty, und an und für sich, ganz allgemein hasse ich das Leben.

erschienen in Kommunikaze 9, Februar 2004

Okay, einige von Euch wollten hier meine top secret schwarze Liste sehen, aber Ihr glaubt doch nicht echt, dass ich Euch die hier zeige? Nee nee, so nett bin ich nicht. Im Gegenteil, ich streite alles ab.

Jeder, der behauptet, ich hätte eine schwarze Liste, kommt auf meine schwarze Li… er… Naja, jedenfalls gehe ich heute zu einer Geburtstagsparty, und an und für sich, ganz allgemein hasse ich das Leben.

Und die Babylonier hasse ich auch. Abgrundtief. Warum? Sie haben den Kalender erfunden, und seitdem irgend so ein bärtiger Urzeitheini auf die Idee der Uhrzeitnotierung gekommen ist, kommen die Leute (und vor allem Frauen) auf den Trichter, irgendwelche Jubiläen feiern zu wollen. Und so wird dann jeder Quark exzessiv gefeiert. Das 25. Jubiläum der Universität, der 350. Jahrestag irgendeines Friedensvertrages, das 1000jährige Bestehen einer Siedlung mit Kirche in einem stinkenden Sumpf, aus der später Osnabrück werden sollte, und natürlich der 1-Jahres-Jubiläums-Jubeltag eines vollkommen unbedeutenden Studentenkäseblattes, in dem ich nun meine Abenteuer veröffentliche. Lächerlich. Das schlimmste daran ist dann ja, dass bei jedem Drecksjubiläum sich irgendein Grenzdebiler mit irrem Mitteilungsbedürfnis, der sich für den größten Redner seit Cicero hält, dazu berechtigt fühlt, seinen Laberflash auf die versammelten Gäste loszulassen. Wer auch nur ein einziges Mal eine Lobrede auf das 15jährige Bestehen eines LIDL-Marktes in Wanne-Eickel-Süd gehört hat, der weiß, wovon ich rede. Wer hätte je gedacht, dass die ulkigen Anekdoten eines stellvertretenden Abteilungsleiters über seine Erlebnisse beim Scheiblettenkäsestapeln so dermaßen scheiße sind, daß ich mir statt dessen lieber freiwillig zwei Stunden Videoclip mit Eko Fresh reingezogen hätte.

Jetzt bin ich aber auf dem Weg zu einer Geburtstagsfeier. Keine Sorge, nicht der Geselligkeit halber, sondern weil es da immer kostenlos Salzstangen gibt. Ich tauche also auf, drücke der Gastgeberin mit gönnerischer Mine einen aufgegrabbelten alten Tannenzapfen in die Hand, behaupte, dies sei ein magischer Glücksbringer aus Togo und gehe das Buffet suchen. Es folgen die üblichen Debilitäten eines Geburtstages: Jeder behauptet, dass er total glücklich ist, hier zu sein zu dürfen, jeder heuchelt der Gastgeberin vor, dass sie im letzten Jahr kein bisschen älter und fetter geworden ist, mindestens zwei sogenannte „beste Freundinnen“ bringen eine Collage der lustigsten Schnappschüsse des letzten gemeinsamen Last-Minute-Fickel-Urlaubes auf Mallorca oder in Lloret del Mar mit, und irgend jemand sagt unter Garantie so etwas wie „ich wünsche dir Gesundheit, Glück und viele tolle Freunde! Und dass du so bleibst wie du bist!“ Und dabei sind alle so aufgesetzt fröhlich als wollten sie sagen: „Kommt nur her, wir freuen euch alle kaputt!“ Warum ist nie einer mal ehrlich und wünscht der Jubilarin „endlich mal ein besserer Stecher als der Jammerlappen von Deinem Freund, außerdem den Koffer, den Schreiber Schäuble gab, samt Inhalt und vor allem endlich mal ein paar graue Zellen im Oberstübchen und für die optische Verbesserung ein Paar ordentlich wummige Titten.“ Das traut sich natürlich keiner zu sagen. Genausowenig, wie sich ein Mann jemals getraut hätte zu sagen, dass er sich vom Weihnachtsmann ‘nen Porsche, ein Schloss und ‘nen 30-cm-Lümmel wünscht.

Egal. Ich betrachte also die Party. Was heißt Party? Aus den Lautsprechern wabert wie immer Alanis Morisette oder Paula Abdul, die Bierkästen sind viel zu früh gelenzt, ein Zweierpärchen, das sich aus Verzweiflung notgedrungen einander hingegeben hat, liegt sich küssend auf dem Bett im ansonsten leerem Schlafzimmer, ein Gast hängt über der Schüssel und spult sein Mittagessen zurück und ich lerne die Rauhfasertapete auswendig, während sich der Pöbel in der viel zu engen Küche stapelt. Ich ergreife die Flucht. Auf dem Nachhauseweg fallen mir weitere Geburtstagsekeligkeiten ein: Mit Omas am Kaffeetisch sitzen, Kaffee Hag schlürfen und Buttercremetorte mümmeln, oder dass man sich doofe Sprüche à la „Und in 20 Jahren darfst Du endlich Bundespräsident werden, dann bist Du 41“ oder „und auf dass Du mindestens noch mal so alt werdest“ anhören muss,

Geburtstagsspezifische Emailspamwerbung bekommen („Malpi, get your Penis enlarged to show them in the new year“ oder „Getting old, Malpi? Try Viagra!“), Schachtel- oder Sockenkränze kassieren (womit man noch nicht mal auf Beischlafmangel hinweisen kann, sondern nur darauf, dass einem die günstige Steuerklasse III fehlt), man darf umsonst ins Kino und sich „Glitter“ oder „Not a girl“ ansehen und natürlich das obligatorische „na, wie alt wirst Du denn? Oh, sieht man Dir gar nicht an, höhöhö“ von allen Seiten. Mir reicht’s. Ich glaub, ich gehe Sport treiben.

Ach, und wo ich schon mal dabei bin: Bon anniversaire, Kommunikaze, und auf dass Du mindestens noch mal so alt werdest!