BdK Folge IX: Markt der Unmöglichkeiten

von Stefan Berendes

erschienen in Kommunikaze 14, Juli 2005

Flohmärkte sind für mich eine Welt voller Zauber. Einerseits natürlich wegen all der schönen Sachen, die man auf ihnen kaufen kann, andererseits aber auch wegen all des herrlichen Irrsinns, dem man auf ihnen an allen Ecken und Enden begegnet. Noch schöner sind dabei Nachtflohmärkte, weil zu möglichst später Stunde einige Faktoren, die den gemeinen Flohmarkt mithin unerträglich machen (schulpflichtige Kinder, Eltern mit manchmal sogar mehreren Kinderwagen, Überraschungseierfigurenverkäufer), entweder gänzlich abgestellt oder aber doch auf ein Mindestmaß begrenzt sind.

erschienen in Kommunikaze 14, Juli 2005

Flohmärkte sind für mich eine Welt voller Zauber. Einerseits natürlich wegen all der schönen Sachen, die man auf ihnen kaufen kann, andererseits aber auch wegen all des herrlichen Irrsinns, dem man auf ihnen an allen Ecken und Enden begegnet. Noch schöner sind dabei Nachtflohmärkte, weil zu möglichst später Stunde einige Faktoren, die den gemeinen Flohmarkt mithin unerträglich machen (schulpflichtige Kinder, Eltern mit manchmal sogar mehreren Kinderwagen, Überraschungseierfigurenverkäufer), entweder gänzlich abgestellt oder aber doch auf ein Mindestmaß begrenzt sind.

Der Genießer schnappt sich also eine Taschenlampe und macht sich auf die Suche nicht nur nach raren Schallplatten und Dekoaccessoires, sondern auch (oder erst recht) nach schrägen Vögeln, denn die bieten sich auf Flohmärkten fast ebenso häufig, wie jene Stände die scheinbar ausschließlich jenen Kladderadatsch feilbieten, der sich über Jahre hinweg am unteren Ende von vergessenen Umzugskisten zu sammeln scheint.

Eine ausschließlich auf Flohmärkten anzutreffende Gattung sind so beispielsweise jene Familienväter, die mit bodenlos traurigen Augen Unmengen an Vinylsingles, Modelleisenbahnbedarf oder Bierfilzen veräußern. Ihr Schicksal steht diesen tragischen Gestalten klar ins gramgezeichnete Antlitz geschrieben: Die über Jahrzehnte zusammengetragenen Plattensammlungen, Modellbahnanlagen und Bierfilzbestände sollen, meist auf das Drängen einer allzu resoluten Ehefrau hin, „mal gründlich ausgemistet“ werden. Infolgedessen lädt der Gatte mit brechendem Herzen Unbezahlbares in den Familienkombi und verkriecht sich dann auf dem Flohmarkt in der hintersten Ecke. Denn wenn die Flohmarktbesucher seinen Stand nur übersehen, so sein Kalkül, dann kann er am Ende der Nacht alles wieder einpacken, und die heißgeliebten Preziosen sind einstweilen sicher (weil vermeintlich unverkäuflich) - zumindest bis zum nächsten Flohmarkt.
In Folge ihres Schicksals fühlen sich diese Männer dann aber sowohl dem gemeinen Anbieter (der einfach nur den Keller freimachen will) wie auch dem normalen Flohmarktkunden (der für möglichst wenig Geld möglichst viel Unsinn erstehen möchte) haushoch überlegen. Dieses verzweifelte Festklammern am Besitzerstolz bekomme ich am eigenen Leibe zu spüren, als ich eine Siebzigerjahre-Schallplatte zu erwerben suche: Das Exponat wird mir aus den Händen gerissen, sein zukünftiger ehemaliger Besitzer schaut mich mit irrsinnsumwölktem Blick an und sagt mit flehentlichem Unterton: „Die ist noch 1a in Schuss! Bei mir bekommst Du keinen Müll!“. „Ja“, antworte ich, „diese Platte ist wirklich sehr schön und dazu ungewöhnlich gut in Ordnung!“ Dann endlich darf ich sie mitnehmen, denn ich habe seine Seelenpein gelindert.

Wer nun Menschen im Bekanntenkreis hat, die sich auf Flohmärkten gerne lautstark über den Musikgeschmack des jeweiligen Standbesitzers erheitern, der mag sich Aug’ in Aug’ mit einem solchen zur Aufgabe seiner über die Jahre angehäuften Plattensammlung gezwungenen Mittfünziger wohl auch mal in Lebensgefahr befinden, aber das ist eine andere Geschichte...

Die kostbarsten Blicke in den Abgrund verfügt einem ohnehin ein ganz anderer Menschenschlag: Ich stöbere eben ziellos durch die New Wave-Schublade eines anderen Plattenstandes, als neben mir eine Kundin den Standbesitzer bittet, ihr doch mal „was mit Trommeln“ zu verkaufen, „Aber so richtig rootig (sic!), nicht so x-beliebigen Ethnoscheiß“. Der flinke Marketender hat da natürlich just das Richtige im Angebot, namentlich „’ne echt super Scheibe von total authentischen Buschtrommlern. Nicht so Touristenquatsch, sondern richtig nah dran an der örtlichen Community.“ Und ich schwöre bei Gott: Dieses Gespräch hat es so gegeben. Im Jahre 2005.

„Für einen Zwanni“ soll nun der nicht-x-beliebige Ethnoscheiß den Beistzer wechseln, aber das Ende der Transaktion bekomme ich schon nicht mehr so recht mit. Ich bin schon wieder ins Getümmel eingetaucht. Es gibt noch viel zu sehen, und der Nachtflohmarkt ist noch jung!