erschienen in Kommunikaze 8, Dezember 2003
Mal wieder reingefallen. Auf den letzten Metern, sozusagen. Weihnachten schafft mich jedes Mal. Die liebste Überraschung ist mir alljährlich, herauszufinden, was nun schon wieder danebengegangen ist. Doch fangen wir am Anfang an:
Seit Jahren herrscht im Freundeskreis die Maxime, dass man sich, hauptsächlich zwecks Stressvermeidung und zugunsten des Girokontos, gegenseitig nichts schenke. Unter Männern ist das ja sowieso sehr angenehm; Es entbindet einen weitestgehend von unerwünschter Geistesleistung, die um Weihnachten ja eh schon ausreichend am internen Arbeitsspeicher zehrt. Und selbst wenn sich die Damen der Schöpfung geschmackvoll verschnürte Päckchen mit Selbstgebackenem zuschachern - kennt man ja: Frauen eben!
Also, kein unnötiger Stress, wir schenken uns einander. Sozusagen. Weihnachtsparty am 22. Dezember, entspanntes Glühweintrinken im engeren Kreise. UND JA KEINE GESCHENKE!
Doch dann wurde mir zum Verhängnis, was einem ja allenthalben zum Verhängnis wird: Der Ramschverkauf eines benachbarten CD-Ladens: Geschäftsaufgabe, „Alles muss raus!, jede CD fünf Euro“, wer hat noch nicht wer will noch mal? Nun ja, sowenig Geld konnte ja gar nicht auf dem Konto sein, dass ich da nicht noch mal den Versuch unternehmen musste, einige Perlen aus der Konkursmasse zu retten. Damit nahm das Unglück seinen Lauf, denn schon nach kurzem Regalwühlen fand ich ES, namentlich das perfekte Weihnachtsgeschenk für einen guten Freund von mir: „Blümchen live in Berlin, Limited Edition inklusive Original Backstagepass“. „Ogottogott!“, mögen nun schöngeistige Musikfreunde denken und sich schaudernd abwenden. Jedoch muss ich dem entgegenhalten, dass der Kauf dieses Geschenks für mich aus mehreren Gründen unumgänglich war: Erstens, so dachte ich mir, wäre aus internen Gründen dieses Geschenk der Riesenlacher, zweitens eine nette Geste, und drittens ist „Blümchen Live“ ja eigentlich ein unüberbrückbarer Gegensatz: Fast so gut wie „Juhnke nüchtern“ oder „Gottschalk schlau“. Also, eingepackt das Ding, man ist ja nur einmal jung, was soll der Geiz? Es kostete ja auch nicht die Welt.
Das Problem entstand nun bei der Überlegung, wann solches Geschenk am besten zu übergeben sei. Unter vier Augen ja wohl kaum, das hätte so den Nimbus der Heimlichtuerei - Genau! Am besten auf der Weihnachtsparty...
Nun aber begann das Dilemma, denn die Vorstellung, einer einzelnen Person ein kunstvoll verzurrtes Päckchen zu überreichen, derweil alle anderen (traurig und/oder trotzig weil übergangen) an ihren Spekulatius knabbern müssen, fand ich doch sehr wenig ergötzlich. Also, befand ich und brachte mich damit in massiven Zugzwang, müssten nun auch für die Anderen Geschenke her. Wenn man aber nun einmal den Entschluss zum Schenken gefasst hat, dann will man es ja in aller Regel richtig wissen: Das Geschenk soll gleichzeitig persönlich, witzig, tiefgründig (wahlweise auch schon mal romantisch) und nützlich sein, darf bei alledem aber vorzugsweise maximal zwei Euro fünfzig kosten - kennt man ja...
Eine Woche vor Weihnachten (die Klischeehaftigkeit dieses Termins macht mich immer noch schaudern...) waren also bei mir klassische Weihnachtseinkäufe angesagt. Eine famose Idee, die ich lediglich mit dem gesamten Rest der Stadt - ach was - des Landkreises teilte. Eigentlich hatte ich ja geplant, dem sich geschenkekaufenderweise durch die Innenstadt prügelnden Pöbel höhnisch und sehr entspannt über den Rand einer Cappuccinotasse hinweg aus einem Café heraus zuzugrinsen. Nun aber: Ich mittendrin. Oder vielmehr mittendrunter. Wieder mal reingefallen (siehe oben!).
Zunächst frequentierte ich natürlich einschlägige Buchhandlungen, denn kaum ein anderes Geschenk zeugt so sehr von Kultur und Lebensart wie ein richtig gutes Buch (unglücklicherweise zeugt auch kaum ein anderes Geschenk so sehr von Möchtegern-Mentalität wie ein richtig schlechtes oder auch nur mittelmäßiges Buch...). Ich hatte jedoch übersehen, dass richtig gute Bücher meistens auch richtig gute Preise haben: Die preisreduzierten Gelegenheitsschwarten stehen zumindest in aller Regel nicht eben wegen ihrer Qualität in der Schnäppchenschublade. Einzige Ausnahme hier: „Florenz und die Architektur Brunelleschis im Bild“, ein großformatiger, durchgehend farbiger Bildband für sensationelle 3,95,-. Leider (oder vielleicht eher Gott sei Dank) trennen mich von der Zeit, in der man sich in meinem Freundeskreis solche Bücher schenken wird, noch einige Jahrzehnte und mehrere hunderttausend Euro. Also raus aus der Buchhandlung und rein in den...ja in welchen Laden nun eigentlich?
Hier kam eine in allen deutschen Fußgängerzonen gleichermaßen vertretene Ladengattung ins Spiel, quasi eine deutschlandweit feste Größe, der diese Schrift gewidmet sein soll: Der Nippesladen.
Nippesläden gibt es überall, ja sogar mehrfach in jeder Stadt. Sie tragen Namen wie „Nanu Nana“, „Larifari“, „KlimBim“ oder ähnliche onomatopoetische Zeugen geistiger Demenz, und ihnen kommt das Verdienst zu, den Verkauf von Ramsch im weiteren Sinne zur Kunst- und Geschäftsform verdichtet zu haben: In ihnen gibt es ALLES, was in irgendeiner Weise zumindest im Ansatz mit dem Attribut „sinnlos“ versehen werden kann: Geschirr in allen Formen und Farben (reale Benutzung durch anatomisch zumindest grundsätzlich normale Menschen scheint für die Designer kein Maßstab gewesen zu sein), Poster mit allen möglichen Motiven (meine persönlichen Favoriten sind hier die nichtssagenden Airbrushdarstellungen von Palmenstränden und stilisierten Frauenkörpern, die ja wohl offensichtlich irgendjemand kauft, sonst gäbe es sie nicht schon seit mindestens zehn Jahren), Kleidung (je bunter und kindischer, desto besser) sowie, und das macht wohl den Löwenanteil des Geschäftsumsatzes aus, allerlei (der Name ist hier Programm) „Larifari“, „Klimbim“ und Dinge, zu denen man schlechterdings allenfalls „Nanu Nana“ sagen kann. Den künstlichen Kothaufen von 1985 (har! har!) findet man hier ebenso wie zahlreiche brüllend komische T-Shirts mit Aufdrucken wie „Sumsen ist buper!“ oder „Schicken ist fön!“; Mein Vorschlag für ein echtes Hammer T-Shirt wäre in diesem Zusammenhang der Aufdruck „Ich lebe auf Autopilot!“, das könnten dann auch gleich 90% der Bundesbürger guten Gewissens tragen (vielleicht sollte ich mir den Slogan patentieren lassen...).
Aber trotz allem: hat man sich durch die Berge von Micky- Diddl- oder „Irgendwas“-Mäusen (welches Biest auch immer gerade wieder in ist) gekämpft, verlässt man den Laden immer mit einem zumindest marginal passenden Geschenk für jeden Freund und jede Freundin. Die Taschen sind voll, das Portemonnaie leer (der Kopf in aller Regel auch), aber es macht sich das befriedigende Gefühl breit, die lästige Pflicht des Geschenkkaufs überwunden zu haben. Tatsächlich halten Geschenke aus dem Nippesladen auch einer kritischen Betrachtung am nachfolgenden Tage stand. Und die Beschenkten freuen sich auch darüber, denn es sind eigentlich „Pop-Geschenke“: so allgemeingültig und sinnfrei, dass sie schon wieder persönlich sind. Tatsächlich zwingt mich ein unterbewusster Automatismus dazu, meistens auch irgendeinen Schrott für mich selbst mitzunehmen (beispielsweise das existenzialistische kleine Windlicht mit den japanischen Schriftzeichen, deren Bedeutung wahrscheinlich in Richtung „Wer das liest, ist doof!“ tendiert, welches auf meinem Fernseher ein ruhiges Plätzchen gefunden hat...). Die Nippesläden motivieren zum Kaufen wie kaum ein anderes Geschäft. Vielleicht liegt es an der esoterisch angehauchten Panflötenmusik im Hintergrund, vielleicht am exotischen Duft von bewusstseinserweiterndem Räucherwerk in der Luft. Das Konsumverhalten eines Menschen, der in den Mikrokosmos eines Nippesladens eintaucht, ist zweifelsohne eines der letzten kleinen Mysterien unseres Alltags und mag es bleiben.
Und eines Tages (oder besser: eines Weihnachtens) verschenke ich, so wahr mir Gott helfe, das Airbrushposter mit dem schwarzen Panther (Nippes-Insider wissen bescheid!), einen schlecht imitierten Plastikkothaufen und ein T-Shirt mit einer spritzigen „Hoppla, hier komm’ ich!“-Aufschrift - Vielleicht dauert es nicht mehr lange und vielleicht ist es dann auch gar nicht mehr ironisch gemeint: Immerhin hat der diesjährige Weihnachtseinkauf wie so viele davor die Tendenz zum Nippes in mein Herz gepflanzt...
Die Weihnachtsparty war übrigens ein voller Erfolg, sehr nett das Ganze: Glühwein, Lebkuchen und (überwiegend) nette alte Freunde. Betretenheit löste einzig und allein ich durch meine Geschenkvergabe aus, denn die Anderen hatten sich ja an die ungeschriebene Maxime gehalten und folglich kein Gegengeschenk besorgt. Mir machte das nichts, ihnen aber war es peinlich (was ich nicht beabsichtigt hatte, weswegen sich meine Schadenfreude ungewöhnlicherweise in engen Grenzen hielt).
Gefreut haben sie sich trotzdem.
Ätsch!
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