BdK Folge III: Saturday Night/Discothèque

von Stefan Berendes

erschienen in Kommunikaze 4, Mai 2003

Samstagabend - kaum ein anderer Zeitpunkt in der Woche steckt so voller unausgesprochenem Zauber, so voller Magie und Verheißung - ob diese nun schlussendlich eingelöst wird oder auch nicht. Wir sind hier, betreten mit schon angriffslustig wiegendem Schritt den Ort des Geschehens. Wir sehen gut aus - dressed to kill, eben. Vielleicht haben wir schon etwas getrunken, um unserer Schwellenangst ledig zu sein, vielleicht halten wir uns auch für jene, die über solche Angstverdrängungsrituale nur herablassend lächeln können, aber jetzt sind wir hier und wollen Unterhaltung, wollen Musik, wollen Spaß.

Nach dem Passieren der Garderobe folgt der unausweichliche Eingangscheck: Mein Gott, was hier wieder los ist/Mein Gott, was hier wieder nicht los ist/Das Publikum hier wird auch immer jünger/Das Publikum hier wird auch immer älter/Hier lassen sie ja auch wirklich jeden rein/Gut, dass sie mich heute reingelassen haben.

Vielleicht steigt uns die Musik gleich in die Beine und zieht uns - gleich einem Magneten - direkt onto the dancefloor, vielleicht halten wir auch erst mal kurz inne und besorgen uns einen Drink - weil sich nun am Ende doch Schwellenangst bemerkbar macht, oder weil sich nur Anfänger sofort ins Getümmel stürzen, wer weiß das schon - wie auch immer: Kurz innehalten, einen Zug nehmen, zuschauen, nachdenken genießen. Und - natürlich - das Publikum in Augenschein nehmen: Wer ist da? Wer nicht? Wer mit wem? Oder auch nicht? Im Takt der Musik wippend erfassen wir das bunte und sich ewig bewegende Chaos als Ganzes, lassen es als Schlachtengemälde auf uns einwirken, trinken aus und drängeln uns dann mehr oder minder munter dazwischen. Bewegen uns (hoffentlich immer noch im Tanz) in mehr oder minder nach dem Zufallsprinzip aneinandergereihten Bewegungsfolgen, ich kannte da doch noch diesen Tanzschritt/als nächstes vielleicht diese Geste/das könnte jetzt gut aussehen/Mist, die Drehung war dann doch zuviel des Guten.

Es gibt viele Variable, aber auch einige Konstanten: Das Discofox-Pärchen, das mit scheinbar anstrengungsloser Leichtigkeit und wohl doch mühsam antrainier Tanzschulenschneid durch die Menge pflügt, bald nach hier, bald nach da ausschlagend, gleich einer Rinderstampede schmerzhafte Tritte und Kollisionstreffer verteilend. Die kreisförmig tanzende Damenriege, die jeden Versuch, in ihre Phalanx einzudringen (und sei es auch nur, um den rettenden Rückzug auf die Herrentoilette anzutreten), mit herablassendem Minenspiel und höhnischem Gelächter kommentiert. Das holzfellerhemdgewandete Herrenteam, stupide und immer einen halben Schlag hinter dem Takt.

Sie alle tanzen denselben Tanz auf dem Vulkan, versuchen, gleichzeitig unglaublich gut unterhalten und völlig gleichgültig auszusehen: Sie alle amüsieren sich so unübertrefflich gut, hier und jetzt, und könnten sich doch überall anders mindestens ebenso gut amüsieren, und ihre Anwesenheit hier ist wirklich reiner Zufall, und das mühsam zurechtgedengelte Styling gibt es so auch an den 364 anderen Tagen im Jahr zu sehen, großes Indianerehrenwort! So tanzen sie vor sich hin, die Beine unendlich weit gespreizt in diesem unmöglichen Spagat zwischen Euphorie und Indifferenz, und unternehmen im Bass der Musik, der zum Puls der Menge wird, den unweigerlich zum Scheitern verurteilten Versuch, Selbstdarstellung und Selbstauslöschung auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu bringen.

Sie werden scheitern. Aber glücklicherweise verbleiben ja noch 364 andere Tage im Jahr, es wieder zu versuchen. Davon 51 Samstage.