Mensch Herbert

von Stefan Berendes

erschienen in Kommunikaze 1, Januar 2003

Am Anfang gestaltet sich das Ganze eher unerfreulich: Lange stehen, erst vor, dann in der Halle. Hilft alles nichts -  man will ja einen Platz möglichst weit vorne ergattern, das muss bei Grönemeyer schon sein. Das denken sich auch ungefähr eintausend Andere, aber nicht umsonst ist so ein Konzert ja immer auch ein Stückweit Gemeinschaftserlebnis. Nicht so schön allerdings, dass man während des Wartens die umstehenden Mitmenschen teilweise wesentlich besser kennen lernt, als man das eigentlich in freier Wildbahn gerne hätte. „Was soll ich denn mit einem T-Shirt, wo Mensch draufsteht?“, witzelt ein besonders unsäglicher Konzertbesucher, „Das sieht man doch wohl auch so, dass ich ein Mensch bin.“ Man ist geneigt, ihm energisch zu widersprechen. Die Aggression ist schon groß genug dafür. Doch dann, nach einer Ewigkeit scheinbar, betritt Herbert Grönemeyer die Bühne, und alle Zwistigkeiten sind vergessen.

Lange hat man nichts mehr von ihm gehört, seine letzte Konzerttour ist auch schon eine Weile her. Sein letzter vielbeachteter Auftritt fand eben hier statt, namentlich in der Preussag Arena Hannover. Das war 2000, und damals hatte er ein großes Orchester dabei. Für seinen heutigen Auftritt verzichtet er auf solche Extravaganzen, aber das geht im Grunde schon in Ordnung: Keiner ist wegen irgendeines Orchesters hier, und für den Notfall hat sich der Künstler ja auch ein paar Streicher mitgebracht. Das reicht, das muss reichen. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht eh Grönemeyer selbst, der neben den ganzen alten Krachern, auf die er wohl bis zum Rest seines Lebens nicht mehr wird verzichten können, auch fast das ganze neue Album zum Vortrag bringt: die hoch und runtergespielte erste Single „Mensch“, die elektrisierende Ballade „der Weg“, aber eben auch die weniger publicityträchtigen Nummern von der aktuellen Platte: Das Publikum erweist sich auch hier als relativ textsicher, zum Massengesang reicht es aber natürlich nur bei den ganz großen Dingern: Bochum, Männer, Alkohol - sie alle erschallen aus zehntausend Kehlen, und man sieht, dass Grönemeyer (wieder?) Spaß an der Sache hat: Er tanzt, er springt, lässt sich bejubeln und anfassen und droht gar damit, sich auszuziehen. Und das Publikum ist natürlich außer Rand und Band.

Die Gesänge erschallen erstaunlich melodisch, Wunderkerzen und Feuerzeuge flammen genau an den richtigen Stellen auf. Wenn Herbie zum Mitsingen auffordert, dann lässt Hannover sich nicht lange bitten. Die Kooperation zwischen Künstler und Publikum klappt reibungslos. Das honoriert Grönemeyer während der zweiten Zugabe gar mit der Uraltnummer „Mokkaaugen“, in der ein sexuell völlig überforderter Beziehungspartner sein Heil im Selbstmord sucht:

„Du kommst herein und siehst mich pendeln
     Mit einem Strick um meinen Hals
    Jetzt ist es aus mit süßem Tändeln,
    ‚Ich liebe dich’ und all dem Schmalz
    Zum letzten Mal spür’ ich es kommen
    Fühl’, wie’s mir in die Hose geht
    Hab’ auch das Leben mir genommen,
    So weiß ich doch, dass er noch steht!“

Da sind sogar ein paar von den ganz alten Hasen baff, die damals schon bei Currywurst eingestiegen sind.
 
Als das Konzert dann schließlich nach reichlich Zusatzprogramm endet (unter drei Zugaben braucht bei Grönemeyer keiner nach Hause zu gehen), bleibt als Fazit: Er ist wieder da, und es war ein Erlebnis. Und selbst mit dem vor Konzertbeginn noch so triefnasigen T-Shirt Menschen fühlt man sich versöhnt: So übel kann er nicht sein, immerhin war er doch auch beim Grönemeyer-Konzert...

Danke, Herbert!