erschienen in Kommunikaze 16, Dezember 2005
Buren ist Niederländisch und man spricht es „büren“ aus. Denn im Niederländischen wird das „U“ wie „Ü“ ausgesprochen und damit die Niederländer noch ein „U“ haben, sprechen sie „OU“ wie „U“. Buren heißt übrigens „Nachbarn“ und um die Nachbarn geht es auch im folgenden Erlebnisbericht.
Es trug sich zu, als ich mal im Emsland war. Das Emsland ist recht hübsch. Der Himmel ist blau, das Buschwerk grün, und alles andere ist vom Torf ziemlich braun. Der Torf kommt aus dem Moor, und irgendwo im Moor ist die Grenze. Dahinter wohnen die Niederländer. So war jedenfalls meine – wie ich feststellen musste äußerst altmodische – Vorstellung. Nun, ich sollte mich rasch eines Besseren belehrt finden, denn wenn man in ein durchschnittliches Neubaugebiet im Emsland fährt, könnte einem auffallen, dass dort viele Autos ein Kennzeichen mit EL für Emsland und dann NL und irgendeiner Zahlenkombination haben, und man wird Fahnen in den Farben rood-wit-blauw vor Häusern finden und dann wird man sich fragen: “Was geht hier vor?“ Zur Erklärung sei erwähnt, dass die Niederlande ein kleines Land sind, in dem sehr viele Menschen wohnen. Zur Platzverknappung trägt außerdem bei, dass dort auch sehr, sehr viele Puten, Hühner und Schweine wohnen. Wenn der Platz knapp ist, wird er teuer, und deshalb haben unsere buren aus den Niederlanden das Emsland für sich entdeckt.
Das Emsland bietet für sie einige Vorteile. Denn weil bei uns die Schweine, Puten und Hühner alle bei Cloppenburg und Vechta wohnen, ist im Emsland viel Platz, um günstig Wohnraum zu erwerben (jedenfalls günstiger als in den Niederlanden), und nahe an den Niederlanden ist es auch (einfach eben durchs Moor, und schon ist man da). Vorteilhaft ist auch, dass man sich dort häufig im niederländischen Mobilfunknetz befindet. Also gut, für den Kunden eines namenhaften deutschen Mobilfunkanbieters ist es nicht vorteilhaft, wenn man sich im Inland im Netz der nederlandse mobilpratningsgezelschap befindet und deshalb immer draufzahlen darf, wenn man angerufen wird, aber es geht ja hier um unsere buren. Wie aber verändert sich das Leben beim Clash of Cultures im Emsland? Eine faszinierende Frage für einen angehenden Sozialwissenschaftler wie mich, der sich zudem noch schwerpunktmäßig mit Europa beschäftigt. Eine Frage aber auch, der ich zu keiner Zeit nachgegangen bin, als ich vor Ort war, das möchte ich hier ausdrücklich versichern.
Ich hatte damals ganz Anderes im Kopf. Es ging, wenn ich mich recht erinnere, mehr um Essen und Trinken, als um Landeskunde oder gar Aspekte der Demographie oder Soziologie. Es stand ganz einfach eine Familienfeier an und das nicht mal von meiner Familie. Ich befand mich also in der komfortablen Situation, alles einfach bei einem lekker Middagessen auf mich zukommen lassen zu können. Dieses Mittagessen mit anschließender Kaffeetafel wurde im örtlichen Landgasthof serviert, dem man zugute halten kann, dass er sich alle Mühe gab, nicht wie ein Landgasthof auszusehen. Mit progressiven Stilelementen (Säulen und helles Holz), sowie Lichtdesign (Spots) wurde hier erfolgreich gegen Eiche-rustikal vorgegangen. Das Middagessen war prima und reichlich, sodass ich den Kuchen verschmähen musste und nur noch ein Käffchen die inwendigen Zwischenräume füllen konnte. Auch ansonsten erging es mir recht wohl, auch wenn ich dem Tischgespräch nicht folgen konnte, da es auf Plattdeutsch geführt wurde. Auf dem Parkplatz spielte ich mit den Kindern Fußball. Soweit also alles sehr deutsch, keine buren von jenseits des Moores in Sicht. Um das 1. Weltkrieg-Kriegerdenkmal, dass auf der Straßenkreuzung vor dem Gasthof stand, fuhren Jugendliche auf Motorrollern im Kreis, und in den Vorgärten der Wohnhäuser wurde der Rasen gemäht. Fett und zufrieden verließ ich die Stätte ländlicher Beschaulichkeit unter dem Vorsatz, alsbald einmal zwecks Einnahme eines Abendessens zurückzukehren.
Gesagt, getan. Angelockt von einer ganz besonderen Spezialität fanden wir uns wenig später in kleinerem Kreise erneut auf dem Parkplatz ein. Denn in diesem Landgasthof kann man vorgegartes Fleisch auf Spießen erhalten, dass sich jeder selbst in einer eigenen kleinen, von einer Petroleumflamme beheizten Eisenpfanne zubereitet, und dass musste dringend mal (aus-)probiert werden. Doch als ich zur Tür hereinging, prallte ich förmlich gegen eine Wand aus Stimmengewirr und Gelächter. Sollte das ein Gasthaus sein, in dem maulfaule Norddeutsche ihr Abendessen einnehmen? Mitnichten. Die Lokalität befand sich fest in der Hand der buren. Von der Beschaulichkeit einer nachmittäglichen Kaffeetafel war nichts mehr zu spüren, das kümmerliche Derivat der Kaffeehauskultur, das nachmittags noch vorhanden gewesen war, war einer Bomben-Jahrmarktsstimmung gewichen. Da saßen Piet und Wim, Hein und Rob zusammen mit Majorlein und Marijke, Marjan und Marga und all ihre Kinderen sausten und brausten, teils mit Gabeln, teils mit Nuckelflaschen bewaffnet, durch den Raum. Es war noch genau ein Tisch frei, an den wir uns sogleich setzten und unser tolles Fleisch zum Selberbraten bestellten. Während der Wartezeit besah ich mir die buren-Juniors und musste feststellen, dass ich vollkommen underdressed zum Dinner erschienen war, denn wie zum Dinner waren alle gekleidet und gestylt. Selbst die jüngsten waren kleidungstechnisch weit über den neuesten Stand hinaus und hatten Robbie-Williams-Frisuren. Ich war nur fürs Abendbrot gekleidet und hastete schnell auf die Toilette, wo ich versuchte, alles aus dem herauszuholen, was morgens noch meine Frisur gewesen war.
Als ich gefrustet am Tisch zurück war, hatte man bereits kleine heiße Pfannen und die Petroleumbefeuerung darunter installiert, und bald darauf brachte man uns Spießchen mit Fleisch, mit denen wir unsere Pfannen und von dort aus uns selber fütterten. Es erstaunt mich bis heute, dass nicht mindestens ein junger Niederländer dabei in Flammen aufging, so spannend fanden die das alle. Ihre Eltern fanden es offenbar ganz entspannend, dass sich ihre Kinderen so für unsere Essenszubereitung interessierten. Als kurz darauf die Bedienung wiederholt knapp der Kollision mit einem der kleinen Daniel Düsentriebs entging, entfleuchte ihr der Seufzer: „Also was die Holländer ihren Kindern alles durchgehen lassen, ich kann ihnen sagen...“. Ich wunderte mich, seit wann es die Besitzer von Landgasthöfen der Bedienung wohl durchgehen ließen, dass sie sich bei Gästen über andere Gäste beschwerte, muss aber doch zugeben, dass ich von so viel Lebensfreude beim Abendessen schlicht überfordert war.
So widmete ich mich still dem Garen und Verzehr der Fleischbröckchen und versuchte, meine Umwelt so wenig wie möglich wahrzunehmen. Reflexartig wehrte ich alle Versuche der Mini-buren ab, in die heiße Pfanne oder gar die Ölflamme zu greifen oder sich mit einem Spießchen ein Auge auszustechen. Plötzlich verließ dann das niederländische Korps wie ein Mann den Laden. Leise fauchte die Petroleumflamme, das Fleisch kokelte vor sich hin, und zurück blieben einige verwirrte Emsland-Ureinwohner, die dreinblickten, als sei eben der Blanke Hans über sie gekommen.
Mit diesem Bild möchte ich meine Betrachtung enden und zu dem wissenschaftlichen Fazit kommen, dass nun bewiesen ist, warum der Norddeutsche gemeinhin als maulfaul und in sich gekehrt bekannt ist. Jedenfalls wenn die buren anwesend sind. Da kommt unsereins einfach nicht mit. Unmöglich, das.
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