erschienen in Kommunikaze 4, Mai 2003
Die Tür geht auf: Ka-pow! Für die Dauer eines Wimpernschlages frieren die Uhrzeiger ein. Nicht weil es so kalt wäre, sondern weil eine unglaublich schöne Frau den Raum betritt. Eine, die um ihre Wirkung weiß, der klar ist, warum alle sie anstarren, schließlich steckt sie seit schätzungsweise zwanzig Jahren schon in diesem Körper.
Ich verstehe nicht, was dieses Geschwätz um reine, unschuldige Schönheit soll. Wer schön ist, lernt das doch von Kindesbeinen an. Selbst wenn man geistig gesunde Eltern hat, die einen nicht auf „Miss Milupa“-Wettbewerbe schleppen, wird man als ansehnlicher Spross gern auf Familienfeiern herumgereicht und begafft. Bescheidenheit zwecklos, Ihr Traumboys und Topmodels da draußen: es ist wissenschaftlich erwiesen, dass schönen Menschen grundsätzlich positiver begegnet wird. Warum auch nicht? Schließlich ist es doch eine ebenso gute menschliche Eigenschaft wie ein „toller Charakter“.
Ich bewundere schöne Menschen. Sicher, man gewöhnt sich an die Blicke, irgendwann nerven sie einen vielleicht. Aber gut- und bestaussehende Weltstars, die beklagen, ihnen mache ihre Schönheit zu schaffen, finde ich bestenfalls kokett.
Falls Sie jetzt denken, ich schreibe das alles aus der sicheren Distanz des physiognomischen Olymps - weit gefehlt, ich stecke genauso knietief im täglichen Buhlen um die Aufmerksamkeit des anderen Geschlechts wie die meisten von Ihnen. Ich halte mich für keinen schönen Menschen. Schöngeistig vielleicht.
„Sie schreiben,“ werden Sie jetzt entgegnen, „das finden auch viele Frauen attraktiv.“
Ja, aber. Selbstverständlich sieht man mir das nicht an (Ich könnte immer so ein Notizbuch bei mir führen, in dem ich dann ganz wichtig herumkritzle, aber dann würde ich wahrscheinlich eher wie ein freier Mitarbeiter einer Lokalzeitung aussehen, der notiert, wo es nichts zu notieren gibt.). Ergo müssen Frauen auch erst mal mit mir reden, um das herauszufinden. Und da haben es schöne Menschen nun einmal leichter.
Ich will nicht jammern. Viele gäben was drum, etwas mehr Grips zu haben. Trotzdem wäre ich gern mal schön und dumm. Skrupellos die Triebgesteuertheit meiner Gegenüberin ausnutzen! Vielleicht gibt es ja irgendein indianisches Geistwanderungsritual, mit dem das möglich ist...
Apropos Indianer: meine These ist ja, dass unser Schönheitsideal ein amerikanisches ist. Wenn man mal in die Geschichte zurückblickt, - was ich persönlich nur tue, wenn’s unbedingt sein muss, wie zum Beispiel für eine wichtige Textrecherche wie diese hier - so wird man feststellen, dass immer das als schön galt, was sich nur wenige leisten konnten. Jahrhunderte lang war Leibesfülle eine finanzielle Frage und darum chic. Folgerichtig ist in einer von Fast Food gebeutelten Gesellschaft derjenige schön, der sich Vollwertkost leisten kann und daher schlank ist (eine Logik, bei der sich einem Bewohner Eritreas die Haare sträuben müssen, so er noch welche hat...).
Und jetzt die Neun Live-Frage: Wo kommt Fast food her? A-m-e-r-i-k-a, richtig.
Und weiter, ist dann nicht in Zeiten der transatlantischen Verwerfungen (oder so ähnlich) Dicksein ein politisches Statement gegen dieses Schönheitsideal und damit gegen sein Herkunftsland? Futtern gegen den Krieg. Eisbombe statt E-Bombe. Maoam statt Moab. Glauben sie mir, das wird der Trend der nächsten Wochen sein: Fettsucht wird p.c.
Und wenn dann die ganzen Topmodels keiner mehr haben will, weil nicht salonfähig, dann gibt es ja immer noch mich, den Retter der Ausgestoßenen, der ihnen gerne zuhören wird.
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