Geisterbahnenbauer

von Kalle Kalbhenn

erschienen im Rahmen der Titelrubrik in Kommunikaze 21, Oktober/November 2006

Im Alter von fünf Tagen saß Rudolf zum ersten mal in einer Geisterbahn. Sein Urgroßvater ging mit ihm über den Rummel - er kaufte ihm eine Zuckerwatte und sie fuhren Autoscooter. Sie rammten alles, was ihnen in die Quere kam, und zum Abschluss ihres Ausflugs fuhren sie Geisterbahn. Für Rudolf war diese Fahrt sehr enttäuschend. In seinem fünftägigen Leben hatte er schon viele Enttäuschungen verkraften müssen, aber diese war auch schlimm: Rudolf hatte sich nicht gegruselt. Er beschloss, später Geisterbahnen zu bauen.

Mit fünf Jahren baute Rudolf seine erste Geisterbahn. Sein Onkel schenkte ihm Playmobil. Daraus baute er eine Geisterbahn und testete sie an seinem Hamster. Mit durchschlagendem Erfolg: Der Hamster starb an einem Herzinfarkt. Von diesem Erfolg beflügelt baute Rudolf weitere Gruselbahnen aus Knete, im Sandkasten und sonst wie.

Im Kindergarten galt er als Sonderling. Meistens kam er als Skelett und gab komische Geräusche von sich. Rudolf war das egal. Er wusste, dass er später von seinen Erfahrungen profitieren würde.

Seine schulischen Leistungen waren durch die Bank sehr gut. Es war für ihn kein Problem, den Studienplatz für Architektur an der Eliteuniversität in Freiburg zu bekommen. Während des Studiums arbeitete er allabendlich auf der großen Kirmes in Koppenhage. Er finanzierte sein Studium als einäugiges Skelett mit drei Beinen und Perücke. Ganz nebenbei konnte er seine Erfahrungen aus dem Kindergarten vertiefen und sogenannte Soft Skills sammeln. Der Geisterbahnbesitzer war sehr zufrieden mit der Arbeit seines Skeletts, und er wusste, dass aus Rudolf einmal etwas werden würde.

Rudolf wurde mit dem Studium zu einer Zeit fertig, als die Lufthansa gerade Architekten für ihre Geisterbahnsparte suchte und zweiseitige Stellenanzeigen in allen wichtigen Magazinen und Zeitungen schaltete. Außer im Focus, den fanden alle scheiße. Rudolf bewarb sich und nach einem siebenmonatigen Accessment Center bekam er den Job prompt - er hatte gute Referenzen und sogenannte Soft Skills. Außerdem entsprach er der Corporate Identity und hatte eine gute Work-Life Balance.

Seine erste Geisterbahn baute er für den Freizeitpark „Tabakland“ in Bünde. Als das Ding fertig war, kam ein Kritiker von der Stiftung Warentest zum Probefahren. Unter dem Titel „Sehr, sehr gute Geisterbahnen hier“ beurteilte der Kritiker die Arbeit von Rudolf mit dem Testurteil gut (2,1). Diese Note war bis dato noch nie an eine Geisterbahn vergeben worden. Rudolfs Geisterbahn war besser als der Cheesburger von Mc Donald’s. Was niemand wusste: Rudolf hatte den Kritiker mit sämtlichen verfügbaren Drogen vollgestopft und ihm die Feder geführt – naja. Sein Aufstieg war besiegelt. Es folgten Aufträge in New York, Paris, London und Herford.

Von der Idee bis zur fertigen Geisterbahn dauerte es knapp zwei Jahre. Rudolf verbrachte diese Zeit immer vor Ort. Jede Baustelle war für ihn ein neuer Lebensabschnitt, mit neuem Haus, neuen Freunden, Frauen und Haustieren. Und neuer Unterwäsche.

Eines Tages passierte, was passieren muss, wenn ein Mensch jeden Tag ans Limit geht und ein Leben in Extremen führt: eine Geisterbahn, die er gerade in China baute, brach ihm über dem Kopf zusammen. Nicht aufgrund baulicher Unzulänglichkeiten, sondern wegen eines Erdbebens der Richterskala 12 (und da sind schon ganz andere Sachen zusammengebrochen). So endete das Leben des Mannes, der sich um die Geisterbahnbranche so verdient gemacht hat, wie kein Zweiter vor ihm.

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