Was macht eigentlich der Kindergeburtstag?

von Tobias Nehren


erschienen im Rahmen der Titelrubrik in Kommunikaze 19, Juni 2006

Milkyway und Schaumenküsse,

Salzgebäck und Zuckergüsse,

Kerzen brennend ausgeblasen

Sich an kalter Schnauze laben.

 

Wenn hinausgekehrt, der Gast der Letzte.

All die tausend Leckereien mit in einem Bogen, einem Großen,

Ins Porzellane des Klosettes speien.

All das bleibt beim Blick zurück

Auf das kindliche Geburtstagsglück

 

Ach wie schön ist so ein bisschen Nostalgie. Damals, da war Geburtstag haben noch so eines der wirklich bedeutenden Dinge. Heute, da man mehr oder weniger die 1 Meter 50 Marke durchbrochen hat, da sieht man das ja eher nüchtern. Da steht man morgens auf und muss, so man nicht gerade einen der Tage erwischt, an denen die Woche endet, arbeiten, studieren oder sonst wie schaffen gehen. Dann rufen einen den Tag über Verwandte, Bekannte, mehr oder weniger gute Freunde an oder schreiben SMS (auf die man dann womöglich auch noch antworten muss) und wünschen einem alles Gute für das neue Lebensjahr. Und gegen Abend kommen dann zwischen fünf und 100 dieser Menschen bei einem zu Hause vorbei und betrinken sich auf Kosten des Geburtstagskindes.


Damals, da war das alles anders. Da war Geburtstag ein Event. Das alle Jahre wiederkehrende große Festival meines Lebens, einer der Fixpunkte des Jahresterminkalenders, so ich denn einen gehabt hätte.


Schon die Frage der Einladungen war Stress pur. Zunächst musste die Mutter die quasi die Rolle des miesepetrigen Sepp Blatter innehatte und bei jeder Gelegenheit mit ihren “vernünftigen Einwänden“ dazwischenfunkte, davon überzeugt werden, dass dieses Jahr 15 und nicht wie sonst immer nur 10 Freunde kommen durften. Denn wie sollte man Finn, Paul, Heiner, Katrin und Svenja erklären, dass sie nicht kommen dürften? Und nach langen Diskussionen hatte man die Mutter dann breitgeschlagen, nicht zuletzt deshalb, da sie keine haltbaren Argumente außer der eigenen Arbeitsbelastung vorzubringen hatte und man ihr plausibel machen konnte, dass mit steigendem Alter der Gäste, diese ja auch vernünftiger wurden. Dass Heiner und Finn eine Woche zuvor, bei der Party von Moritz, herausgefunden hatten, dass ein Glas Fanta und zwei Mohrenköpfe definitiv nicht zeitgleich in einen Kindermund - oder sollte ich besser sagen: Kinderschlund - passten, konnte sie ja nicht wissen, und der nächste Elternabend, bei dem Moritz Mutter meiner Mutter erzählen konnte, was sie mit der vollgebrochenen Zimmerpflanze gemacht hat, lag noch in weiter Ferne.


Also Einladungen verfassen. Meine Mutter achtete immer penibel auf die Einhaltung der Linien und Rechtschreibregeln und so einen einladenden, freundlichen Text, wobei mir persönlich gereicht hätte: 17. Februar, kommen, gibt viel Süßes für alle und …, diesen Teil hätte ich mit Edding darauf geschrieben, so ich gedurft hätte, Geschenk nicht vergessen, ich durfte aber nicht. Wieder kommen mir Parallelen zur anstehenden Fußballweltmeisterschaft (darf man dieses Wort eigentlich einfach so verwenden?), denn Franz Beckenbauer hätte bestimmt auch lieber allen Karten verkauft und dann das Turnier eröffnet mit einem Satz wie: „Geht’s raus uns spielt’s Fußball“. Naja, aber wie wir sehen, durfte auch er, nicht wie er wollte.


Zurück zu meinem eigentlichen Thema: Vor dem großen Kampf an der Fresstafel kam noch der große Kampf im Supermarkt: Es musste durchgesetzt werden, dass in der Getränkekiste mindestens vier Flaschen Cola sein durften, weil man Fanta und Sprite einfach nicht mehr trinkt heutzutage. Die Maximalforderung, also der Kauf einer Flasche Cola für jeden Gast, scheiterte schlicht daran, dass meine Mutter dann angeboten hätte, uns doch lieber Kaffee zu kochen, wenn ich meine Gäste schon mit Koffein vollpumpen wollte. Und daran, das wusste sie ebenso gut wie ich, dass Kaffee  8-jährigen RabaukInnen ganz einfach beschissen schmeckte. Beim Einkauf der Fressalien gab es keine größeren Kämpfe. Denn dass meine Mutter da nicht mit Dinkelkeksen oder Gemüsekuchen zum Abendessen anfangen musste, hatte sie schon selbst schnell begriffen, nachdem im letzten Jahr alle beim Essen davon erzählt hatten, wie ätzend es bei Anette gewesen sei, deren Ökomama einen Rohkostteller zum Knabbern hingestellt und eine Getränkeauswahl zwischen Caro Kaffee und Kakao anzubieten hatte. Und mit Adjektiven wie uncool, unlocker oder unkultig wollte meine Mutter bei der nächsten Geburtstagsparty von Finn, Svenja oder Sascha nun auch nicht betitelt werden.


War der Geburtstag gekommen war er ja auch schon so irre schnell wieder vorüber. Aufwachen um ca. 4:30 Uhr mit einem ungefähr 150-mal in der Minute schlagenden Kinderherzchen, Eltern wecken (so als hätte man kein Herzchen) und den ersten Schwung Geschenke, mit gollumscher Gier auspacken. Ab in die Schule, sich feiern lassen, peinlich berührt tun, wenn alle für einen singen, es aber im Grunde doch genießen, im Mittelpunkt zu stehen. Nach Hause hetzen, um die Geschenke aufzureißen, die von den Verwandten geschickt worden waren und dann die Mutter anweisen, wer wo sitzen soll, um dann von einer auf die andere Pobacke zu wechseln in hektischer Erwartung der ersten Gäste. Kamen diese dann endlich, wurde zunächst viel Geschenkpapier zerfetzt, wobei man feststellte, dass die besten Freunde auch immer die besten Geschenke mitgebracht hatten -- oder waren es die besten Freunde, weil sie die besten Geschenke mitgebracht hatten? Dies verschwimmt ein wenig in meiner Erinnerung.


Der restliche Nachmittag wurde dann damit verbracht, Spiele zu spielen, von denen man heute beim besten Willen nicht mehr begreifen kann, wie die Eltern es geschafft haben, zehn bis fünfzehn aufgedrehte Stöpsel zum Mitspielen zu bewegen. Als Beispiel seinen hier nur angeführt: ein Stück Laugengebäck - ohne die Hände zu benutzen - von einer Schnur beißen oder bekleidet mit Mütze, Schal und Handschuhen eine Tafel Schokolade essen. Außerdem war der Drahtseilakt zwischen Übelkeit auf der einen und dem nächsten Negerkuss auf der anderen Seite ziemlich kräftezehrend. Zumal man sich immer bewusst sein musste, dass man beim Abendessen als Gastgeber nicht schon nach zwei Hot Dogs aussteigen durfte, da das die Ehre nicht zuließ.


Waren dann nach dem Abendessen die letzten Gäste hinausgekehrt, waren sowohl das Geburtstagskind als auch die Mutter völlig erschöpft, und ich erinnere mich noch an dieses wunderbare Gefühl, dass man dann mit ins Bett nahm: eine Mischung aus Enttäuschung darüber, dass der Tag vorbei war, Übelkeit, verursacht durch die vier Hot Dogs, die ca. 70 Smarties und die zahllosen frittierten Kartoffelscheibchen, die sich im Magen tummelten und nicht zuletzt der Vorfreude auf den nächsten Geburtstag, die einem schon jetzt den Schlaf rauben konnte.