Jesus lacht und Satan regiert die Vereinten Nationen - spirituelle Weltbilder im Rock'n'Roll

von Anna Groß

Jesus.gif

Illustration: Christian Reinken

erschienen im Rahmen des Titelartikels in Kommunikaze 18, April/Mai 2006

"Children don’t get weary.
Don’t get weary ‘til your work is done.
Because he died for you and me! You know he died upon a tree.
Don’t get weary ‘til your work is done.”
(Judy Clay  & Booker T and the MG’s)


Yeah yeah baby yeah; yeah yeah baby yeah -
Es gibt viele Arten von Opfern, und einer muss Schuld sein.
Soviel steht fest.
Auch im Rock’n’Roll.

Die erste Art von Opfer macht immer alles richtig, was bedeutet, dass die anderen alles falsch machen. Und deshalb in die Hölle kommen.
Ein Archetypus dieser Opferfigur ist Graham Parsons. Er sang bei den Birds das legendäre  Album Sweetheart of the Rodeo ein, dass erste Country Album, welches von Rockmusikern aufgenommen wurde, falls es jemanden interessiert. Dieses Album trägt in jeglicher Hinsicht paradigmatische Züge:

„My buddies tell me that I should have waited
They say I’m missing a whole world of fun
But I still love them and i say with pride
I like the christian life
I won’t lose a friend while heeding god’s call
For what is a friend who’d want you to fall
Others find pleasures in things I despise
I like the christian life

My buddies shun me since I turned to
Jesus
They say I’m missing a whole world of fun
I live without them walking the line
I like the christian life
I won’t lose a friend while heeding god’s call
For what is a friend who’d want you to fall
Others find pleasures in things I despise
I like the christian life
I like the christian life“         (Birds)

Besonders deutlich wird dies, wenn man in Betracht zieht, das Graham Parsons ein paar Jahre später an einer Überdosis starb. Lange zuvor hatte er den Wunsch geäußert, er möge nach seinem Tod verbrannt und seine Asche im Wüstenwind verstreut werden. Seine Kumpels von den Flighing Burrito Brothers entführten deshalb seinen Leichnam aus dem an Wüsten eher armen Großbritannien, wo er eigentlich im Kreise der Familie beigesetzt werden sollte, in die Wüste von Nevada. Dort übergossen sie ihn mit etwas Feuerzeugbenzin und zündeten ihn an. Übrig blieb ein unansehnlicher, verkohlter Klumpen, der sich schlecht verstreuen ließ.
Die Flighing Burrito Brothers ergriffen die Flucht und ließen den verkohlten Leichnam dort liegen.
Hier wurde der Opferarchetypus zur selbsterfüllenden Prophezeiung über den Tod hinaus. Das Opfer macht eigentlich alles richtig, aber die anderen sind einfach zu blöd.

Es gibt aber auch Opfer, die gefallen sich durchaus in ihrer Rolle. Dieser Opfertypus zeichnet sich durch ätherische Selbstvergessenheit aus. Er wendet den Blick ab vom Zuschauer, oder trägt eine Sonnenbrille, und wird so zur Projektionsfläche der Fantasien der Betrachter. Im Augenblick der zur Schau gestellten höchsten Selbstverachtung deutet sich zwar eine Läuterung an:

“Jesus Jesus help me find my proper place…” (Lou Reed, the Velvet Underground)

Doch was sich hinter der Sonnebrille verbirgt (stecknadelkopfgroße Pupillen, o. ä.), spricht eher für die dauerhafte Einrichtung im Opferdasein. Die Opferrolle wird hier zur Möglichkeit der Verneinung der eigenen Zugehörigigkeit zur white family of men. 
 
Ein ganz andere Opfertyp weiß zwar, um den bevorstehenden Untergang. Er weiß aber auch Bescheid über die Gerüchte in den Straßen...
Dass Caesars Haus schwächer wird... Seine Generäle, haben den Befehl, die Männer festzunehmen und die Kinder verhungern zu lassen. Aber das Königreich wird untergehen. Jetzt läuft noch alles prima in Babylon, und die Reichen treiben es munter weiter. Aber die Zäune werden schon immer höher, um sie zu schützen, und der Draht dreht sich dabei enger um ihre Hälse.
Ihr fragt euch, was schief läuft, und warum wir nicht alle miteinander auskommen können?

“Their television feeds us lies
Market Forces, Alibis
And every hour that passes by
pushes us closer to genocide”

Das Opfer will uns angeblich nicht verängstigen, doch was sollen wir nun tun? Es zwingt uns dazu uns mit dem Opfer zu solidarisieren, denn

“I know what’s going to happen to you
and there is nothing child that I can do”

Außerdem gibt es ja noch eine Alternative, die nebenbei bemerkt, auch der Grund für dieses Lied ist:

“Jesus, he came back
Jesus, high on crack
Jesus, who was  hid in jail
Jesus, cannot afford the bail
Oh yeah the man is strong
And that’s the reason for this song
But I can’t help you baby when the empire falls”  (Bobby Conn, Rise Up!)

Das Opfer solidarisiert sich und wird Teil einer Übermacht. Es lässt sich nicht aufs jenseitige Glück vertrösten, sondern versteht die Auferstehung anders und im wörtlichen Sinne, als Aufstand gegen die herrschende Klasse.  
Oder wie Klaus Kinski einst sagte: „Er hätte eine Peitsche genommen und euch damit ins Gesicht geschlagen.“