erschienen im Rahmen des Titelartikels in Kommunikaze 18, April/Mai 2006
Oft kommt es im Leben auf Sekunden an: Erwische ich den Zug noch? 3-2-1, meins! Das Telefon klingelt - noch! Nicht zuletzt wegen dieser entscheidenden Sekunden empfiehlt Max Goldt, sich nicht täglich zu duschen. Was wäre, wenn das Telefon klingelt, während man unter der Brause steht? Am anderen Ende ist der Mann, der einem den Traumjob verschaffen will. Während man sich genüsslich einseift, hört man das Ring-Ring bzw. (modern) Tüdelditüdldidi. Man springt aus der Dusche, rutscht auf den Badezimmerfliesen aus und bricht sich Arme und Beine. Den Job hat längst jemand anderes bekommen. Also: Der Waschlappen tut es, so zumindest Max Goldt, auch, denn den kann man ruhig zur Seite legen und ohne Rutschen und Fluchen den Hörer abnehmen.
Entscheidend sind Sekunden ebenfalls, wenn das Lied von der Länge 3:24 Minuten noch auf Seite A soll. Unverzeihlich wäre es, wenn die letzten Sekunden fehlen. Hier helfen nur präzises Arbeiten und Planen, denn - auto reverse hin oder her - so viel Respekt sollte man vor (fast) jedem Künstler haben.
Apropos Respekt: Auch die Reihenfolge spielt - beim Mixtape wie im Leben - eine beträchtliche Rolle. Erst die Unterhose und dann die Jeans, erst die Butter und dann der Käse oder erst Spülen und dann Abtrocknen. Kaum vorstellbar, was passieren würde, wenn man sich im Alltag vielleicht nicht an die, aber doch zumindest an eine bestimmte Reihenfolge halten würde.
Will man eine Kassette aufnehmen, ist es wichtig, wer sie sich anhören soll. Ist sie beispielsweise für den Typen, den man gerade toll findet, kann man ja nicht gleich mit seinem Lieblings-Liebes-Lied anfangen. Zu offensichtlich darf es auch nicht sein. Der Eröffnungssong sollte unter Beweis stellen, dass man - zumindest subjektiv - einen außerordentlich guten Musikgeschmack hat. Die Zusammenstellung der Stücke sollte eine gewisse Klimax aufweisen. (Soll heißen: Mit „Primus - Too Many Puppies“ anfangen und die A-Seite mit „Neil Young - Heart Of Gold“ ausklingen lassen, ist - ziemlich egal, was dazwischen kommt - blöd. Was natürlich nicht heißen soll, dass die Lieder nicht aufs Tape sollen oder dürfen. Sie haben nur an diesen Positionen nichts zu suchen (aber darüber lässt sich auch vortrefflich debattieren)!
Demnach ist es wichtig, mit einem Knaller anzufangen, der eindeutig außerordentlich ist, sich aber beim Abspielen des Bandes noch steigern lässt, um dann mit einem Feuerwerk zu enden (Ja, hier könnte dann unter Umständen das Lieblings-Liebes-Lied platziert werden).
Auch die B-Seite - meiner Meinung nach dann etwas ruhiger und weniger fulminant - sollte von Stück zu Stück gesteigert werden. Es wäre ja unklug, auf die zweite Seite nur langweiliges Zeug aufzunehmen. Erstens würde das heißen, dass man sich keine Mühe mehr gegeben hat. Zweitens soll die Person sich die Kassette ja auch ein zweites Mal anhören wollen und sie nicht nach 90 Minuten in die Ecke oder Kiste werfen. Drittens ist so eine Mix-Kassette ein Gesamt(kunst)werk. Die Reihenfolgen-Ideologie kann auch ohne Weiteres auf die Stücke und ihre Geschichte bezogen werden. So würde es doch von - zumindest minimaler - Musik-Intellektualität zeugen, erst einen Nirvana-Song und danach einen von den Foo Fighters aufzunehmen (andererseits würde doch ein wenig Hohn und Spott auf J. Mascis niederprasseln, würde man erst etwas von Dinosaur jr. und dann was von Sebadoh aufnehmen…).
Dass das Ende der B-Seite vortrefflich sein muss, dürfte klar sein, denn: Nach der Kassette ist vor der Kassette. Je besser das allerletzte Lied, desto besser und anhaltender ist der letzte Eindruck. Der letzte Song muss dafür sorgen, dass die Kassette sofort wieder umgedreht wird, um dann ewiglich im Player rauf und runter genudelt zu werden – vielleicht bis zum Bandsalat.
Wirklich ärgerlich wird es, wenn der Typ, den man gerade gut findet, kein Tape-Deck hat.
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