Walter und die Wale

von Stefan Berendes

erschienen im Rahmen des Titelartikels in Kommunikaze 12, Dezember 2004

Nanu, denkt hier zu recht der Leser, es soll doch um Pferde gehen, warum denn dann um Gottes Willen Wale? Gemach, gemach, es wird sich alles klären: Die Annäherung an den Topos Pferd gelingt mir einzig über freies Assoziieren, und das führt wiederum unausweichlich zu Walen. Aber ich greife vor…

Pferde also, diese herrlichen Tiere: Mein erstes Erlebnis mit Pferden war frühkindlich und infolgedessen fast zwangsweise traumatisch. Mein Großvater hielt es beim sonntäglichen Waldspaziergang für eine hervorragende Idee, mir einen Sitzplatz auf dem Pferd einer zufällig vorbeikommenden - respektive -trabenden - Reiterin zu verschaffen. Ich wehrte mich nicht energisch genug und fand mich - schwups - auf den Rücken der aus meiner kindlichen Perspektive etwa 900 Meter hohen Reitbestie verbracht. Da saß ich dann und schrie wie am Spieß vor halbgeformter Existenzangst , dieweil die für die ganze Bredouille verantwortlichen Erwachsenen daneben standen und herzhaft lachten, wie nur Menschen lachen können, die der diffusen kindlichen Angst vor allem und jedem schon zu lange entwachsen sind. Nun ist mein Großvater natürlich ein herzensguter Mensch, einzig: Das Prägende dieser ersten Begegnung hat sich ihm wohl bis heute nicht so recht erschlossen.

Ähnlich grenzwertig ging es weiter: Zu Beginn des Studiums wird in lockerer Runde über Hobbies geredet, und eine Kommilitonin gibt zu Protokoll, es werde Zeit, dass sie endlich mal wieder Stiefel und Peitsche anlege. Das wiederum lässt in meinem von präsexualisierter Ahnungslosigkeit geprägten Kopf groteske Bilder aufblühen. Die Erleuchtung, bei dem von ihr so leidenschaftlich geschilderten Hobby könne es sich um das Reiten (auf Pferden!) handeln, schlägt verlässlich zweieinhalb Minuten zu spät in meiner Großhirnrinde auf, doch da hat das ehedem unverfängliche Gespräch schon eine Wendung hin zum Abgründigen vollzogen…

Eine Entspannung in meinem Verhältnis zu Pferden ist indessen erst unlängst eingetreten: Mein Nachbar Walter besitzt ein erhebliches Freigelände, auf dem allerlei Viehzeug ein Leben fernab von Legebatterie, Hormonspritzen und Besamungsstation führen darf. Unter ihnen ist auch eine Stute, die Walter durch beherzte Intervention vor einer Zukunft als Qualitätssalami gerettet hat. Das Tier ist eine rechte Schindmäre, die bei Walter - endlich stimmt’s mal im engsten Wortsinn - ihr Gnadenbrot frisst, sich mir gegenüber aber immer grundanständig verhalten hat, was meinem Vertrauen in Pferde an und für sich neue Nahrung gibt.

Faszinierend auch stets Walters Zwiesprache mit dem Tier, das selbst leiseste Kommando aus über 500 Meter Entfernung registriert und kommentarlos in die Tat umsetzt. Überhaupt lässt Walters magische Fähigkeit zur Kommunikation mit allem, was blökt, muht und röhrt, mich den Tag fürchten, an dem er seine Aufmerksamkeit den Walen zuwenden wird, um mit ihnen gemeinsam die Weltherrschaft an sich zu reißen.

Ein Glück, dass Walter einstweilen bei Pferden bleibt…