erschienen im Rahmen des Titelartikels in Kommunikaze 3, April 2003
Ferien auf der Cebit! Oh Gott!, mag hier jetzt so mancher denken und sich schaudernd abwenden - beides sicherlich nicht so ganz zu unrecht. Ähnliches denke ich mir auch, als wir hier vor Eingang Nord 1 des Messegeländes stehen und das kommende Ferienerlebnis sozusagen noch gar kein solches ist. Es ist Samstag, 17 Uhr, und Nord 1 wird gerade eher als Ausgang genutzt, erbricht also endlose Massen von Messebesuchern: Anzuggewandetes Fachpublikum im Dauerstress, picklig-fahle Sonderlinge und schamlose Studenten auf Werbegeschenkfang - sie alle strömen vom Gelände, und zwar so mit zusammengehamstertem Promoramsch beladen, dass sie in ihrem Leben nie wieder neue Kugelschreiber brauchen werden. Wir sind aus anderen Gründen hier. Wen interessieren schon Computer? Die laufen oder eben auch nicht. Wir laufen jetzt auch, allerdings gegen den Trend aufs Gelände, und das umsonst - fliegender Eintrittskartenwechsel macht’s möglich.
Drinnen befindet sich das mehr oder weniger bunte Treiben im fortschreitenden Zerfall - nur bei Sony tanzen noch bikinigeschürzte junge Damen zu stampfenden Technobeats - von Schlipsträgern sehnsuchtsvoll beobachtet. Unser Weg führt uns schnurstracks in die Chillout-Lounge eines namhaften Elektronikherstellers, denn dort soll es Cocktails gratis geben. Schnell ist ein Tisch erobert und die erste Runde an der Bar organisiert, die nachfolgenden lassen wir uns dann direkt an den Tisch bringen. Anfängliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Aktion - wir sind ja kein Messepersonal - ertrinken in Fluten von Pina Colada. Der Kellner ist wohl selber Student und hat das Spiel bald scheinbar durchschaut - aber um sein Geld geht’s ja nicht, und deshalb serviert er grinsend Runde um Runde.
Auf der Suche nach weiteren Zerstreuungen kommt es zur Begegnung mit einer Kommilitonin eines Mitstreiters, und die nennt den nächsten Wegpunkt der Reise: Ein weiterer Elektronikgigant feiert im Pavillon auf dem Messedach eine Aftershow-Party fürs eigene Messepersonal.
Der erste Blick auf den wachhabenden Türsteher lässt zwar Skepsis aufkommen, doch da schwebt auch schon die unserer Führerin durch Bekanntschaft verbandelte junge Dame herbei, die zu unserer Eintrittskarte werden könnte: „Hi! Ähhh...ja, also sechs Leute sind vielleicht doch ein paar zu viel. Ich weiß nicht, ob das jetzt so...“ Noch während sie spricht, walzt der Eintrittsstempel über unsere Handrücken. Drinnen viele Menschen, viel Bier und Sekt und Unmengen zu essen. Nach den einleitenden Worten des Europa-Konzernchefs beginnen die Tiefflugattacken aufs kalte Büffet.
Sporadische Fragen von Umstehenden, was unsere Daseinsberechtigung an diesem Ort sei, werden vom Infiltrationsexperten unserer Gruppe abgebügelt: Als einziger von uns mit messetauglichem, gesetzten Dreiteiler und - dem Studium sei Dank - mit umfassenden wirtschaftswissenschaftlichen und elektronischen Kenntnissen ausgestattet, kontert er skeptische Nachfragen mit erfundenen Geschichten aus den realen Zulieferunternehmen des Gastgebers. Diese Taktik geht auf, bis das Büffet nahezu restlos abgeräumt ist, dann will ein offensichtlich dem Facility-Management angehöriger Mitarbeiter mit massiver Schlagseite „malnausweissehn!“ Das Zutagefördern eines Lufthansa-Praktikantenausweises nimmt seinem Gebaren zwar die Aggression, aber dennoch wird es langsam Zeit zu verschwinden.
Unser bescheidener Ausflug in die Welt von Frank Abignale jr. endet satt und zufrieden: Auf einer Messe, die für „Wiener Schnitzel mit Pommes“ 19 Euro verlangt, haben wir sogar noch Gewinn rausgefressen. Der Security-Gorilla am Ausgang wünscht uns noch einen schönen Abend...
Naja, vielleicht gucken wir uns nächstes Mal sogar mal die Computer an!
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