Miss-Geschick

von Sonja Möller

erschienen als Titelartikel in Kommunikaze 2, Februar 2003

Mein größter Traum geht in Erfüllung: Ich darf hinter die Kulissen einer Miss-Wahl schauen und Mäuschen bei den Schönen spielen. Glitzer und Gamour live! Ich Glückspilz! Bei meiner Ankunft werde ich aber mit der harten Realität konfrontiert: Vier Stunden vor dem großen Auftritt laufen die Teilnehmerinnen noch recht planlos durch die Garderobe. Einige bekommen schon ihr Make-up ins Gesicht geschmiert. Andere sitzen bei den Hairstylisten. Ich begutachte derweil das kalte Büffet. Enttäuschendes Resümee: Anstatt fettreduzierter Kost gibt es Kalorienbomben, was - ein kleines Wunder -  niemandem etwas auszumachen scheint. Wie Halbverhungerte essen sie ihre Teller leer. Ja, man soll mitnehmen, was man kriegen kann. Und wenn es auch nur Nahrung ist. Meine Reise durch die Welt der Missen geht weiter.

Wie kommt man denn eigentlich zu so einer Miss-Wahl? „Meine Mama hat mich angemeldet“, lächelt Diana. „Ich wollte gar nicht, aber sie sagt immer wieder zu.“ Anscheinend leidet Mama an Sehrstörungen. Oder Schönheitswahn. Was auch immer. Die nächste Kandidatin scheint ebenfalls schlecht beraten: Picklige Haut und eine Ausstrahlung wie ein Auto. Das kann ja heiter werden. Zumal sich die Liste der Jurymitglieder eher wie eine Hitliste des schlechten Geschmacks liest: Jürgen Drews, Chris Rabatz, Bernhard Brink und - natürlich - Roberto Blanco. Für eine ausgeglichene Mischung kommen noch Ramona Drews und Ines Kuba dazu. Tja, was soll jetzt noch schiefgehen?

Die Jury trudelt pünktlich um 23 Uhr ein und verschwindet sofort im VIP-Zimmer. Was sie dort zu suchen hat, ist unklar, aber niemand beschwert sich. „Wer war denn die blonde Frau?“ Schnell sind sich die Bewerberinnen einig: Das muss Ramona Drews sein - eindeutig zu erkennen an ihrem aufgeblasenen Vorbau. Langsam füllt sich die Garderobe mit top-gestylten Schönheiten. Wo kommen die denn auf einmal her?  Dann die Einsicht: Die Stylisten sind ihr Geld wirklich wert. Und bevor ich noch bis zehn zählen kann, heißt es auch schon: „It´s showtime, Mädels!“ Der Leiter der Miss-Organisatoren hat gesprochen. Die Anwärterinnen schweben in die Disko und dort sogleich hinter die Bühne.  Moderator Rudi begrüßt die „tobende Menge“. Es hört sich an, als würde er jahrein, jahraus nichts anderes machen, als Miss-Wahlen zu moderieren, was ihm zu gefallen scheint.  Den Zuschauern erstaunlicherweise auch. Eloquent stellt er die „hochrangige Jury“ vor. Anscheinend hat ihm niemand gesagt, dass die Juroren weniger Stars als vielmehr professionelle Lachnummern sind.

Und dann endlich laufen die Gladiatoren - Verzeihung, die Teilnehmerinnen - in die Manege ein. Bereit zum Zerfleischen. Aber wo sind die selbstbewussten strahlenden Schönheiten von eben? Gequältes Grinsen, verkrampfte Haltung. Wenn die schon zusammen auf der Bühne so aussehen, wie soll das erst beim Einzeldurchgang werden? Die Antwort kommt prompt: Schlimmer geht´s immer. Nachdem Rudi jede einzelne kurz vorgestellt hat, sagt diese ihre einleitenden Worte, und das klingt dann beispielsweise so: „Hallo, ich bin Eva. Ich bin 18 Jahre alt und gehe noch zur Schule.“ Interessant. Und glamourös. Doch die Fragestunde fängt ja grade erst an. Fragen wie „Ach, Du gehst noch zur Schule?“, zeigen schonungslos den Intelligenzquotienten der Juroren. Peinlich geht es weiter: „Mit wem würdest Du lieber schlafen, mit Dieter Bohlen oder Bernhard Brink?“ Gegenfrage: Gäbe es auch die Möglichkeit, stattdessen Selbstmord zu begehen? Doch die Kandidatin versucht zu punkten und stottert unverständliches Wirrwarr. „Charakterisiere Jürgen Drews mit drei Sätzen.“ Tja, auch dies stellt die Kandidatin vor eine unlösbare Aufgabe. „Ähhh...ähm...er sieht gut aus, hat eine hübsche Frau.“ Hallo? Es geht um Jürgen Drews! Vielleicht hat sie die Frage nicht verstanden. Außerdem findet selbst Jürgen diese Frage unmöglich. „Vielleicht mag sie mich nicht, will aber trotzdem meine Punkte.“ Damit hast Du wohl recht. Ich sehne das Ende der Veranstaltung herbei.

Doch es gibt ja noch den Durchgang im Palm-Beach-Bademoden-Dress. Seltsamerweise erinnert mich dabei alles an eine Präsentation von Schlachtvieh. Beine, Busen, Po...Klauenspreizung?! Die Blicke der Juroren sehen jedes Fettpölsterchen. Auch die Zuschauer üben gnadenlos Kritik, drängen sich dicht an den Laufsteg und mustern jeden Pickel der Schönheiten. Beim dritten Gang über den Steg steht für die Jury die Gewinnerin fest: Die Nummer zwölf war eindeutig die Beste und liegt um 300 Punkte vorn. Bleibt nur die Frage: Wer war jetzt gleich noch die Nummer zwölf? Die ist mir gar nicht aufgefallen. So ging es den meisten, doch die Juroren hatten ja das geschulte Auge und wussten Bescheid. Andrea Jansen trägt den Sieg davon. Und eine funkelnde Strass-Steinchen-Krone noch dazu. Nach dem offiziellen Teil geht es dann wieder in die Garderobe.

Onkel Jürgen hält schon am warmen Büffet ein Pläuschchen mit der Drittplazierten. „Als Jurymitglied hast du Deine Favoriten. Die anderen erkennst du gar nicht mehr.“ Faszinierend, wie auch Eva Müller zum Hagen findet. Ich stehe eher verwundert daneben. Wie findet man denn bei zwei Durchgängen seine Favoritin? „Bei Ramona war es damals genauso“, plaudert Jürgen munter weiter. „Die habe ich erst bei der dritten Wahl bewusst wahrgenommen.“ Damals, vor 13 Jahren. Da fragte er seine Zukünftige nämlich bei deren erster Wahl seine Standardfragen. Tja, und wie der Teufel es so wollte, geriet sie auch ein Jahr später wieder an Jürgen. Und da antwortete sie - keck wie sie ist - auf seine gleichgebliebenen Fragen: „Aber das weißt Du doch alles schon!“ Ja, Ramona, das mag stimmen. Doch ist Onkel Jürgen bestimmt nicht nur Jurymitglied einer Miss-Wahl im Jahr. (Schwer vorzustellen, dass er überhaupt etwas anderes macht): „Erst bei der dritten Wahl habe ich sie näher kennen gelernt.“ So kann es gehen, Eva Müller zum Hagen. Da musst Du noch ein bisschen warten, bevor Du so jemandem wie dem Jürgen auffällst. Der nimmt nämlich nicht jede! Und während die beiden noch ein wenig plaudern, füllt sich die Umkleidekabine langsam mit Pressevertretern. Alle wollen die strahlende Gewinnerin für ein Interview. Schlangen bilden sich, während nicht gerade gutgelaunte Verliererinnen in Windeseile ihren Palm-Beach-Badeanzug und ihr schillerndes C&A-30-Euro-Abendkleid einpacken und aus dem Ambiente rauschen. Auch verlieren will gelernt sein, Mädels.

Königinnengleich kommt die Siegerin in den Raum geschwebt. Andrea Jansen, ein Name für Gewinner. Zumindest bei einer Miss-Wahl: Originalität der Namen hin oder her, es geht ja um... ja um was eigentlich? Ach ja, optisches Auftreten, gute Figur und hirnlose Kommentare. Nun gut, zurück zur Gewinnerin. Diese sieht ganz gequält aus mit ihrem Krönchen aus glitzernden Diamanten auf dem Kopf. Vielleicht ziept es ja in den Haaren? Die jedenfalls haben ihre besten Tage wohl auch hinter sich: Eine Haarkur einmal die Woche wäre nicht schlecht.

Einen jungen Journalisten scheint das weniger zu stören. Nach langem Warten ist er endlich an der Reihe und darf eifrig seine Fragen stellen: „Wo kommst du her? Was sind Deine Hobbys? Hast Du einen Freund?“ Investigativer Journalismus der Spitzenklasse! Ob sie vergeben ist, weiß die 23-Jährige indessen selbst nicht so genau. „Ja, das ist etwas kompliziert. Alles noch in der Schwebe. Schreiben sie mal ja.“  Der Reporter würde die neue Miss Norddeutschland wohl  trotzdem gerne einmal etwas genauer unter die Lupe nehmen, denn auch nach dieser für ihn vermutlich niederschmetternden Antwort geht die Fragerei ungetrübt weiter. Dann noch posieren für ein Foto. Doch was ist das?  „Ich kann nicht mehr lächeln.“   Was wird die Arme denn dann bloß nächste Woche machen? Da ist Dauergrinsen angesagt: Zur Vorbereitung auf die Miss Germany-Wahl  darf die glückliche Gewinnerin  nämlich in den Europapark nach Rust fahren. Na, wenn das nichts ist! Dort stehen Fotoshootings, Laufproben und Fernsehauftritte an. Das muss einen doch glücklich machen!Vielleicht weiß sie aber das Beste noch gar nicht: Insiderinformationen zufolge lernt
sie nämlich bei einem echten Spitzenkoch kochen, was für Frauen ja schließlich unabdingbar ist, besonders für die zukünftige Miss Germany.

Andrea Jansen interessiert das im Moment eher wenig. Sie schluckt tapfer eine Kopfschmerztablette, drückt liebevoll die Hand ihres wartenden Freundes - oder wie wir ihn auch immer nennen wollen -  und widmet sich dann wieder der Pressemeute. Ja, einfach ist das Leben einer Miss nun wirklich nicht.